45.830 weniger Kinder – was sich hinter einer Zahl verbirgt

21.10.2024 | Deep Dive

Demographische Entwicklung ist ein recht abstrakter Begriff. Ob eine Frau durchschnittlich 1,44 Kinder zur Welt bringt oder 1,35 – das scheint keinen großen Unterschied zu machen. Oder vielleicht doch? Von Thomas Walter
Messe - das Messegebäude der Messe Nürnberg, in der auch die Deutsche Spielzeugmesse stattfindet

Die Fakten: eine Kleinstadt weniger

Zunächst die Fakten: Der Corona bedingte Babyboom ist wohl endgültig abgeebbt. Die Leute gehen abends wieder ins Kino, ins Restaurant oder sonst wo hin – aber auf jeden Fall weniger ins Bett. 2023 wurden 45.830 Kinder weniger geboren als das noch 2022 der Fall war. In anderen Worten: eine komplette Kleinstadt wurde gar nicht erst geboren.

Weniger Kinder in Verbindung mit weniger verfügbarem Geld durch Inflation und hohe Energiepreise – das schlägt sich natürlich auch aufs Konsumverhalten nieder. Die Menschen brauchen weniger und sie kaufen auch weniger. Dementsprechend verzeichnet die Branche in in allen Bereichen einen Rückgang

Gegen den Trend stemmen: die Entwicklung bei den Kinderwagen

24.583 Kinderwagen weniger wurden verkauft. Das entspricht einem Rückgang von 3,6% Durchaus weniger als der Geburtenrückgang, der 6,2% beträgt. Daraus lassen sich zwei Schlussfolgerungen ziehen:

  • Die Kinderwagenverkäufer haben einen guten Job gemacht und den kleiner gewordenen Markt noch besser ausgeschöpft.
  • Anderseits kann das auch daher kommen, dass Kinderwagen nicht nur an Eltern Neugeborener verkauft werden, sondern auch an Familien, deren Kinder ein oder zwei Jahre alt sind.

Zu beiden Erklärungsansätzen passt der Trend zu multifunktionalen Modellen, die von der Geburt bis zur Kleinkindzeit verwendet werden können.

Weniger, dafür teurer: so machen es die Kindersitze

Bei den Kindersitzen gibt es eine ähnliche Entwicklung. Auch hier wurde deutlich weniger verkauft: Der Rückgang um 5,5% entspricht über 116.000 Sitzen, die nicht abverkauft werden konnten. Der Umsatz bei den Kindersitzen ging allerdings nur um 2% zurück. Dies lässt sich durch die immer aufwändigeren und damit auch teureren Modelle erklären, die angeboten werden. Sitze mit Ganzkörper-Airbags oder komplexen Belüftungssystemen erhöhen nicht nur Sicherheit und Komfort, sondern auch den Preis.

Dramatisch: -14% beim Kleinkindspielzeug

Die drastischste Veränderung – eigentlich muss man von einem Einbruch sprechen – gibt es allerdings im Markt für Baby- und Kleinkindspielzeug für die unter 3-jährigen. Bei all den schönen Dingen vom Sandspielzeug, über Lego duplo bis Bobby Cars & Co. sparten die deutschen Eltern über 100 Millionen Euro ein. Ein Umsatzrückgang von 14%! Das ist schon mehr als ein Alarmzeichen. Die 630 Millionen Umsatz in diesem Bereich entsprechen zwar immer noch einem durchschnittlichen Budget von 300 Euro pro Kleinkind im Jahr. Aber der Umsatzverlust zum Vorjahr tut Handel und Herstellern gleichermaßen weh. Vor allem, weil er zu groß ist, um ihn mit konjunkturellen Schwankungen zu erklären. Zeigt sich hier eine strukturelle Veränderung?

Facts & Figures

Eine Kleinstadt weniger

Vergleicht man die Zahlen von 2023 mit denen von 2022 sieht man eine deutliche, teils drastische Entwicklung

45.830 Geburten weniger als 2022 (-6,2%)
24.583 Kinderwagen weniger (-3,6%)
116.402 Kindersitze weniger (-5,5%)
102.558.140 € weniger Umsatz für Kleinkinderspielzeug (-14%)      

Die Reaktion: mit aktivem Handeln dem Trend entgegenwirken

Statistiken sind eine Sache. Gelebte Wirklichkeit ist eine andere. Wir fragten Michael Edl, GF von Rofu (ME) und Dr. Jan Weischer, Co-CEO von BabyOne (JW), wie sie die Entwicklung erleben und mit ihr umgehen. In den Antworten zeigt sich, wie aktives Handeln und ein breites Spektrum von Maßnahmen dafür sorgen, dass Unternehmen nicht zum Spielball der demographischen Entwicklung werden.

Zwei, die es wissen müssen: Dr. Jan Weischer (Co-CEO babyone) und Michael Edl (GF Rofu) sprechen darüber, wie sie mit der Entwicklung umgehen.

Deep Dive: Der gemessene Rückgang klingt dramatisch – wie äußert sich das bei Ihnen?

ME: Der Rückgang der Geburtenzahlen in Deutschland als auch die allgemeine Konsumzurückhaltung haben in der Tat spürbare Auswirkungen auf den Gesamtmarkt für Baby- und Kinderausstattung. Dennoch muss man anmerken, dass wir in der Altersgruppe der Kinder bis 3 Jahren einen recht stabilen Markt haben, weil die Zuwanderung die schwankende, bzw. gesunkene Geburtenrate, ausgleicht. Auch wir mussten beobachten, dass die Nachfrage im Babysegment in den letzten Monaten zurückgegangen ist. Trotz dieser Herausforderungen haben wir festgestellt, dass die Kunden, die zu uns kommen, gezielt einkaufen und oft auf der Suche nach qualitativ hochwertigen Produkten sind. Die persönliche Beratung und Expertise, die wir bieten, sind für viele junge Familien in dieser sensiblen Phase von unschätzbarem Wert. Insgesamt ist es eine herausfordernde Zeit, aber wir sind zuversichtlich, dass wir mit unserem Fachwissen und unserer Kundenorientierung bestehen können.

JW: Trotz der geopolitischen, wirtschaftlichen und demographischen Entwicklungen haben wir im Geschäftsjahr 2023 stabile Ergebnisse erzielt: Mit einem Umsatzwachstum von 15,5 Prozent hat sich insbesondere der Online-Bereich von BabyOne sehr positiv entwickelt. Unser Nettoumsatz ist nur leicht um 1,3 Prozent gesunken. In unseren Kernbereichen wie Kinderwagen und Autositze konnten wir Wachstum erzielen. Die Einführung unserer eigenen Marke ELSA & EMIL und die Umstrukturierung der Eigenmarke „B.O.“ zu „Little One“ haben erheblich dazu beigetragen, dass wir uns trotz der herausfordernden Marktsituation behaupten konnten.

Deep Dive: Ist das eine Momentaufnahme oder ein Trend, der sich womöglich fortsetzt?

ME: Ob es sich um eine Momentaufnahme oder einen langfristigen Trend handelt, lässt sich derzeit schwer abschätzen. Kurzfristig könnten wirtschaftliche Unsicherheiten eine Rolle spielen, langfristig müssen wir jedoch auch demografische Entwicklungen und verändertes Konsumverhalten berücksichtigen. Wir passen uns diesen Trends an, indem wir kontinuierlich in Marktanalysen investieren und flexibel auf neue Herausforderungen reagieren. Besonders wichtig ist es, unser Angebot stetig zu optimieren, um für unsere Kunden attraktiv zu bleiben.

JW: Wir gehen davon aus, dass der demografische Wandel und der damit verbundene Rückgang der Geburtenzahlen längerfristige Auswirkungen auf den Markt haben werden. Auch in 2024 sind die Geburtenzahlen rückläufig – wenn auch nicht mehr so stark. International gesehen wird sogar davon ausgegangen, dass am Ende des laufenden Jahrhunderts in fast allen Ländern der Welt Geburtenzahlen zurückgehen werden. Das macht unseren Markt natürlich herausfordernder, wir sehen dies allerdings nicht als Bedrohung, sondern wie immer in schwierigeren Marktlagen als Chance, um mit Innovation und einem breiten Angebot zu reagieren.

Deep Dive: Mit welchen Mitteln steuern Sie gegebenenfalls entgegen?

ME: Wir setzen auf ein ausgewogenes Verhältnis aus bewährten Produkten und innovativen Neuheiten. Die Konsolidierung unseres Sortiments erlaubt es uns, gezielt auf Trends und Kundenbedürfnisse zu reagieren. Jedoch aufgrund der marktgegebenen Gesamtzahl von Kindern bis 3 Jahren halten wir es für unabdingbar, unsere Sortimentsausrichtung stärker auf den Kleinkindermarkt zu fokussieren. Dabei spielt unsere enge Zusammenarbeit mit Lieferanten und Markenherstellern eine zentrale Rolle. ROFU Kinderland kann auf über 40 Jahre Erfahrung zurückgreifen. Wir verstehen es, auf Kundenwünsche, Trends und beliebte Themen einzugehen und unseren Kunden ein bestmögliches Einkaufserlebnis zu bieten.

JW: Wir setzen gezielt auf den Ausbau unserer Eigenmarken und die Weiterentwicklung unseres Omnichannel-Geschäfts. 2023 haben wir unsere hauseigene Marke ELSA & EMIL ins Leben gerufen, die auf die umfassende Expertise der Franchisenehmer und Fachkräfte aus den BabyOne-Märkten zurückgreift, um nachhaltige und durchdachte Produkte mit hohem Qualitätsstandard zu entwickeln: Das erste Produkt, ein Kinderwagen mit ergänzenden Accessoires wie Rucksäcken, Organizern sowie Regen- und Insektenschutz, vereint hochwertiges Design und Nachhaltigkeit und stieg innerhalb kürzester Zeit in den Top 5 der meistverkauften Kinderwagenmodelle bei BabyOne auf. In den nächsten Monaten werden wir mit ELSA und EMIL weitere Produkte launchen.

Wir haben außerdem die Umstrukturierung unserer Eigenmarke B.O. und den Relaunch unter dem Namen LITTLE ONE vorgenommen. Ziel war es, Kund:innen eine bessere Übersicht der angebotenen Produkte zu bieten. Darüber hinaus wurde das Sortiment um die Bereiche Spielwaren, Möbel und Kinderzimmerzubehör erweitert. Die Sortimentserweiterung und Bereinigung bietet jetzt mehr Auswahl und Struktur und legt den Grundstein für die Steigerung des Eigenmarken-Umsatzes.

Zu den Initiativen im Bereich Omnichannel gehörten die Digitalisierung des Ship-from-Store-Prozesses durch die Einführung eines Ordermanagement-Systems sowie der Ausbau des Online-Geschäfts in Österreich und der Launch unseres Online-Shops in der Schweiz vor einigen Wochen. Wir werden weiterhin überall dort präsent sein, so unsere Kundinnen und Kunden sind und ein tolles, einheitliches Einkaufserlebnis bieten.

Deep Dive: Welche Möglichkeiten sehen Sie, um neue Kunden anzusprechen bzw. bestehende Kundenbeziehungen zu verstärken?

ME: Die Beratung vor Ort bleibt für uns ein zentraler Bestandteil der Kundenbindung, vor allem bei Ersteltern und Eltern kleiner Kinder. Gleichzeitig setzen wir stark auf eine kanalübergreifende Strategie. So ermöglichen wir es unseren Kunden, sich online umfassend zu informieren und Produkte in einer unserer über 100 Filialen auszuprobieren. Auch die Vernetzung von digitalen und stationären Angeboten wird weiter ausgebaut, etwa durch exklusive Online-Angebote und eine direkte Kommunikation über Social Media. Durch diese Kombination stärken wir nicht nur bestehende Kundenbeziehungen, sondern gewinnen auch neue Zielgruppen.

JW:Unser Fokus liegt auf einer klaren, modernen Markenstrategie, die junge und werdende Familien gezielt anspricht und weiterhin auf dem direkten Kund:innenkontakt und unserer Beratungskompetenz, vor allem auch in unseren über 100 Fachmärkten. In der unfassbar spannenden Lebensphase, in der sich unsere Kundinnen und Kunden befinden, ist die Beratung unserer großartigen Kolleginnen und Kollegen vor Ort einfach unschlagbar.

Mit unserer Marke ELSA & EMIL und der Erweiterung der Eigenmarke „Little One“ können wir Produkte anbieten, die sowohl in Design als auch Funktionalität überzeugen und auf die Bedürfnisse unserer Kund:innen zugeschnitten sind. Neben der Sortimentserweiterung setzen wir auf die Ansprache über digitale Kanäle, was sich insbesondere bei der Markteinführung von ELSA & EMIL bewährt hat. Auf Instagram konnten wir 14.000 Follower für den Markenkanal gewinnen

Mit der Einführung der kostenfreien ‘BabyOne Welcome Box’ für werdende Eltern bauen wir unser Kundenbindungsprogramm, die ‘BabyOne Card’, zudem weiter aus: In der Launch-Edition der ‘Welcome Box’ waren neun Marken vertreten, darunter Pampers mit Feuchttüchern, NIVEA mit einem Pflege & Massage Baby Öl und der Fotodienstleister CEWE mit Meilensteinkarten. Auch die hauseigenen Marken ELSA & EMIL und Little One sind in der Box zu finden. Der Inhalt wird regelmäßig aktualisiert und um neue Markenpartner erweitert. Werdende Eltern können die Box nach Registrierung für die ‚BabyOne Card‘ in einem unserer über 100 Fachmärkte abholen. So fördern wir den frühen Kontakt mit unseren Kundinnen und Kunden, getreu dem Motto ‚von Anfang an‘.