Lizenz­studie schließt Forschungs­lücke

26.06.2024 | Deep Dive

Bei der Vermarktung von Lizenzen spielt der Handel die entscheidende Rolle. Wie Top-Manager über dieses Geschäft denken, damit befasst sich die Untersuchung der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Heilbronn.

Von Carsten Kortum und Tassilo Zimmermann

Messe - das Messegebäude der Messe Nürnberg, in der auch die Deutsche Spielzeugmesse stattfindet

In vielen Warengruppen sind lizenzierte Produkte von eminenter Bedeutung. Grund genug, sich eingehender mit den Besonderheiten dieses Marktsegments zu beschäftigen. Die geringe Rücklaufquote der Online-Befragung ist allerdings ein deutliches Zeichen, dass der Fokus der Entscheider im Handel ganz klar bei anderen Themen liegt. Das Selbstbild der Lizenzbranche, die sich gerne hauptsächlich im Lichte unbestrittener Erfolge sonnt, bedarf also einer gewissen Korrektur. Die vollständige Untersuchung liegt als White-Paper der DHBW Heilbronn, vor und ist damit der Branche und allen Interessierten zugänglich. Sie kann online abgerufen werden.

Eine Zielsetzung dieser Studie ist es, in Anbetracht der Veränderungen auf den wesentlichen Konsummärkten insbesondere die Perspektive der Entscheider auf das Thema Licensing zu analysieren. Der Handel sortiert als Gatekeeper aus der Vielzahl von Produkten und Lizenzen diejenigen mit dem aus seiner Sicht größten Marktpotenzial aus. Die Perspektive des Handels wurde im Themenfeld Licensing bisher kaum beleuchtet. Insofern ergibt sich hier eine Forschungslücke. Mit den Ergebnissen soll ein konstruktiver Beitrag für die Diskussion in Theorie und Praxis geleistet werden.

Die bisherige durchweg ältere akademische Diskussion hat sich bei Licensing auf die Konsumentenforschung konzentriert. Hier waren Themen wie die Einstellung von Konsumenten und die Qualitäts- und Wertwahrnehmung und deren Veränderungen durch Markenallianzen im Fokus. Im Ergebnis bisheriger Studien konnte die Wirkung auf unbekannte und neue Marken durch die Kooperation mit starken Marken belegt werden.

 

Zunehmende Relevanz

Licensing bleibt allein schon wegen der wirtschaftlichen Relevanz ein interessantes Forschungsfeld gerade auch für die Entscheider in der Praxis bei Lizenzgebern und -nehmern. Diese Studie soll den Anstoß für weitere Studien zum Licensing geben.

Im Zeitraum vom 12.4. bis 21.5.2024 wurden gezielt über LinkedIn Einkäufer und Category Manager als Entscheider für die Sortimentsgestaltung bei Food und Nonfood in Handelsunternehmen angesprochen. Bei erreichten 1098 Impressionen war die Teilnehmerzahl mit 149 beendeten Fragebogen sehr niedrig. Viele der Angesprochenen verwiesen bei ihren Rückmeldungen auf fehlende Erfahrungen beim Thema Licensing. Die Beendigungsquote von lediglich 13,6 Prozent zeigt die gering einzuschätzenden Berührungspunkte mit Licensing bei vielen Food- und Nonfood-Entscheidern im Handel.

Die Analyse der Befragungsergebnisse zeigt, dass Licensing im Bereich des Handels eine zunehmende Bedeutung erfährt, insbesondere seit Beginn der Corona-Pandemie. Die Zielgruppen, die am meisten von Lizenzprodukten angesprochen werden, sind Kinder, gefolgt von jungen Familien und Jugendlichen. Innerhalb der Warengruppen dominieren Spielwaren, Textil/Bekleidung und Nonfood allgemein

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie auf einen Blick

Hier einige ausgewählte Ergebnisse der Befragung:

  • Aktuell sind Lizenzen wie Paw Patrol, Disney und Star Wars besonders relevant. Diese Lizenzen bieten nicht nur eine hohe Bekanntheit, sondern erfüllen auch die Anforderungen der wichtigsten Zielgruppen und Warengruppen.
  • Die Mehrheit der Befragten (63 Prozent) erkennt eine gesteigerte Relevanz von Licensing seit der Pandemie. Licensing wird als wichtiger Impulsgeber insbesondere im Nonfood-Bereich (82 Prozent) und auch im Food-Bereich (50 Prozent) wahrgenommen. Besonders bei Aktionen spielt Licensing eine große Rolle (79 Prozent), während es bei Listungsartikeln weniger Einfluss hat (31 Prozent).
  • Herstellermarken profitieren stärker von Licensing (55 Prozent) im Vergleich zu Eigenmarken des Handels (27 Prozent). Exklusivität ist für 78 Prozent der Befragten ein entscheidendes Kriterium. Obwohl höhere Verkaufspreise von mehr als der Hälfte der Befragten (55 Prozent) als Abverkaufsrisiko gesehen werden, wird das allgemeine Abverkaufsrisiko von nur 24 Prozent höher eingeschätzt als bei Produkten ohne Licensing.
  • Die Möglichkeit von höheren Margen durch Licensing sehen lediglich 29 Prozent der Befragten, was darauf hindeutet, dass Licensing weniger als Ertragsbringer wahrgenommen wird. Branchenspezifische Unterschiede bestehen insbesondere in der Wahrnehmung von Licensing bei Food und Nonfood als Impulsgeber sowie in der Relevanzeinschätzung zwischen Key Account Managern (KAM) und Category Managern (CM).

Für den Handel als Untersuchungsobjekt dieser Studie ergeben sich Chancen, durch Licensing gerade die weniger bekannten Marken und damit auch die Eigenmarken mit tendenziell höheren Margen zu promoten. Konsumenten sind bereit, eine Preisprämie zu zahlen, nicht jedoch Premiumpreise. Licensing muss dann sowohl auf den Produktverpackungen als auch am PoS konsistent umgesetzt werden.

ÜBER DIE AUTOREN
Carsten Kortum und Tassilo Zimmermann sind den Lesern von planet toys als Autoren bekannt. Gemeinsame Sache machen sie in diesem Fall, weil sie die DHBW-Studie initiiert haben. Kortum ist an der DHBW Heilbronn als Professor tätig, Zimmermann engagiert sich dort als Gastdozent.

Chancen und Risiken

Für unbekannte Hersteller bietet Licensing eine höhere Chance der Regallistung im Einzelhandel. Licensing wird als risikoreduzierend eingeschätzt für Hersteller und auch den Handel. Bei Licensing gibt es eine Tendenz zur Kooperation von großen Lizenzgebern mit großen Lizenznehmern. Kleinere Händler sind oft aufgrund ihrer geringen Mengen wenig interessant.

Der Erfolg von lizenzierten Konsumgütern mutet mitunter so unwahrscheinlich an wie die Geschichten, die den Stoff für milliardenschwere Lizenzvermarktungen liefern. Spongebob ist dafür ein interessantes Beispiel. Vor einem Vierteljahrhundert erschien dieser sprechende gelbe Schwamm erstmals auf den TV-Bildschirmen der Welt. So leicht die Handlung daherkommt, so steckt hinter diesem Erfolg gleichwohl harte Arbeit, auch bei der Lizenzvermarktung. Nach Schätzungen wurden seit 1999 mit entsprechenden Spongebob-Produkten (z. B. Spiel- und Schreibwaren oder Textilien) im Handel weltweit mehr als 13 Milliarden US-Dollar umgesetzt.

Das Lizenzgeschäft ist aber kein Selbstläufer. Das erlebte ausgerechnet im gleichen Zeitraum, als Spongebob startete, ein Thema, das erst nach erheblichen Anlaufschwierigkeiten und notwendigen Lernprozessen immerhin eines der stärksten Lizenzthemen überhaupt werden sollte: Harry Potter. Exemplarisch belegen der Zauberlehrling aus Hogwarts und der Schwamm von einem Meeres-Atoll die Komplexität des Lizenzgeschäfts.

 

Aller Anfang ist schwer

Wegen der großen Erfolge der Harry-Potter-Romane der britischen Autorin Joanne K. Rowling hatte sich das Hollywood-Studio Warner Bros. an die Verfilmung der einzelnen Bände gemacht. Als erster Film kam „Harry Potter und der Stein der Weisen“ Ende 2001 in die Kinos. Mit ihrer eigenen Consumer-Products-Sparte hatte Warner auch die zeitgleich startende weltweite Lizenzvermarktung geplant. Noch bevor der Film am 22.11.2001 in den Kinos startete, konnte Warner nach Branchenschätzungen bereits Lizenzeinnahmen in Höhe von 1 Mrd. US-Dollar verbuchen. Für den europäischen Markt hatte sich bei der Vergabe der Lizenzen die Achterbahn AG aus Kiel den Löwenanteil der Vermarktungsrechte gesichert.

Insgesamt 120 Einzellizenzen für 550 Produkte wollte das Unternehmen im Handel distribuieren. In Erwartung eines umsatzstarken Lizenzgeschäfts mit Harry-Potter-Produkten waren aber die eigenen finanziellen Möglichkeiten zu optimistisch eingeschätzt worden. Wenige Monate nach dem Start in die Vermarktung war Achterbahn zahlungsunfähig. Mangels Masse musste das Unternehmen 2003 schließlich komplett abgewickelt werden.

Trotzdem gelang auch auf dem deutschen Markt der Durchbruch für Harry-Potter-Lizenzen. Aus der Pleite von Achterbahn waren die richtigen Schlüsse gezogen wurden, etwa durch einen zielgruppengenauen Zuschnitt der Lizenzprodukte, der Auswahl der Lieferanten und der Handelspartner.
Zunehmende Professionalisierung

Grundsätzlich hat sich in Deutschland, dem größten europäischen Verbrauchermarkt, das Geschäft mit internationalen Lizenzen erst allmählich durchgesetzt. Es haperte lange an der notwendigen Distribution für die betriebswirtschaftlich notwendigen Vermarktungsaktivitäten in großem Stil. Grund dafür war die diversifizierte Handelsstruktur hierzulande. In den USA, Frankreich oder Großbritannien haben es Rechteinhaber wie Disney, Warner oder Nintendo sowie deren Lizenznehmer, meist internationale Markenartikler wie Hasbro, Mattel oder Lego, mit zentral geführten Handelskonzernen zu tun.

Anders in Deutschland. Eine derart vielfältige Handelslandschaft vom einzelnen Fachhändler über Verbundgruppen und Einkaufskooperationen bis hin zu Warenhäusern, SB-Warenhausunternehmen oder Discounter kannten die meisten der international tätigen Lizenzmanager überhaupt nicht. Sich auf diese Besonderheiten einzustellen, war Voraussetzung für ein breit aufgestelltes Lizenzgeschäft.

Wegen seiner Frequenzstärke gehört der deutsche LEH für die Lizenzbranche zu den wichtigsten Absatzkanälen. Die Hauptzielgruppen, Mütter mit Kindern, sind weitgehend deckungsgleich. Ohne die Discounter mit ihrem Marktanteil von mehr als 40 Prozent und ihrer bundesweiten Präsenz hätte sich in Deutschland nie ein so starkes Lizenzgeschäft entwickelt.

 

Streaming auf dem Vormarsch

Größte Herausforderung für das Lizenzgeschäft sind die Veränderungen der Medienwelt und ihrer Nutzung. Das Lizenzgeschäft ist groß geworden über die Inhalte, die über klassische Medien wie TV und Kino vermittelt werden. Diese linearen Angebote verlieren an Bedeutung und damit auch die Möglichkeiten, genau zum Start von Filmen oder TV-Serien die entsprechenden Lizenz-Aktionen im Handel zu terminieren.

Für die Marktforschung sind On-Demand-Zuschauer bei Streaming-Spezialisten wie Netflix, Amazon Prime oder anderen schwer zu fassen, um herauszubekommen, wann sie welche Inhalte anschauen. Ebenso verhält es sich bei digitalen Medien wie Youtube oder TikTok. Ganz abgesehen davon, dass es in den digitalen Welten immer mehr Inhalte gibt, die konsumiert werden können. Die jahrzehntelang gängige Praxis der großen Hollywood-Studios, Themen und Veröffentlichungstermine zu bestimmen und damit auch bei der Lizenzvermarktung den Takt vorzugeben, neigt sich dem Ende entgegen.