Mytoys – ein Scheinriese weniger
Messen liefern seit Jahrhunderten die Kommunikationsplattform für Geschäfte. Die aktuellen Krisen stellen das Geschäftsmodell Messe vor neue Herausforderungen. Dennoch bleiben sie einer der wichtigsten Treffpunkte und ein zentraler Faktor im Marketing-Mix von Unternehmen.
Von Tassilo Zimmermann
Der Otto Group ist es gelungen, die komplette Geschäftsaufgabe ihres Spielwarenhändlers Mytoys in geordneten Bahnen zu vollziehen. Damit haben sich die Gesellschafter des Hamburger Familienunternehmens getreu hanseatischer Gepflogenheiten beim sprichwörtlichen Ende mit Schrecken die größtmögliche Diskretion bewahrt.
Als Markenname wird Mytoys im E-Commerce-Geschäft von Otto genutzt und damit weiterleben. Die 19 stationären Filialen bleiben erhalten, allerdings unter anderem Namen. Übernommen wurden sie vom bayerischen Spielwarenhändler Krömer. Dessen Gesellschafter, die Brüder Christian und Daniel Krömer, führen sie als eigenständige Firma unter dem Namen „Toysino“ weiter. Im Grunde ein Glücksfall für Otto. Andernfalls hätten zum Ende dieses Jahres die Mytoys-Filialen geschlossen und Entlassungen vollzogen werden müssen.
Turnaround ausgeschlossen
Für die Otto-Gruppe gab es keine Alternative zur Abwicklung ihrer Spielwarensparte Mytoys. Denn wie der Blick in den aktuellen im Bundesanzeiger veröffentlichten Geschäftsbericht 2021/22 zeigt, verbesserte sich die seit Jahrzehnten desaströse finanzielle Lage erneut nur marginal. Die Umsätze gingen auf rund 520 Mio. Euro (2020/21: 529 Mio. Euro) zurück. Immerhin konnte ein Jahresüberschuss von rund 8 Mio. Euro erwirtschaftet werden. Den gewaltigen über die Jahre angehäuften Bilanzverlust schmälerte das nicht entscheidend. Dieser betrug laut Veröffentlichung im Bundesanzeiger rund 232 Mio. Euro.
Die Mytoys-Geschäftsführung sei mit der Entwicklung von Umsatz und des EBIT „zufrieden“, hieß es im Jahresabschluss 2021/22. Das Konzept mit eigenen Shops und der Online-Plattform habe „erwartungsgemäß hohe Erfolgsaussichten“. Vermutlich hegte die Mytoys-Spitze diese nach außen hin gerne verbreiteten Illusionen auch bei der Vorlage des Geschäftsberichts 2022/23, der bislang noch nicht im Bundesanzeiger veröffentlicht ist. Die Finanzsituation dürfte desolat geblieben sein.
Schonungslose Analyse
Denn vom Prinzip Hoffnung als Geschäftsmodell wollten Otto-Vorstand und die Gesellschafter Anfang 2023 endgültig nichts mehr wissen. Der Vertrauensverlust in Strategie und Fähigkeiten der Mytoys-Verantwortlichen war offenkundig zu groß. Bei der Verkündigung der Abwicklung von Mytoys gab es im März 2023 schonungslose Worte von ganz oben: Der Erfolg eines unbedingt erforderlichen Turnarounds bei Mytoys sei „weder seriös planbar noch realistisch“.
Verwiesen wurde in diesem Zusammenhang auf eine „gründliche Analyse der Geschäftsentwicklung“. Sie habe ergeben, dass Mytoys seit Jahren, ausgenommen die Wachstumsphase während der beiden Corona-Jahre, „keine solide wirtschaftliche Performance und die erforderliche, nachhaltige Rentabilität erreicht hat“. Der Blick in die Geschichte von Mytoys zeigt, wie sehr von Anfang an mehr auf Schein statt auf Sein gesetzt worden war.
Hoffnung auf ein digitales Schlaraffenland
Gegründet wurde das Unternehmen im Jahr 1999. In diesen Zeiten herrschte Aufbruchsstimmung in ein neues Zeitalter, in ein digitales Schlaraffenland mit angeblich unbegrenzten Möglichkeiten. Die sogenannte New Economy war derart von ihrem Tun überzeugt, dass wichtige Regeln der traditionellen Wirtschaft als überholt galten. Marktanteile sollten mit rasanten Umsatzzuwächsen erobert werden. Rentabilität spielte eine eher untergeordnete Rolle. Die Geldbeschaffung lief über Börsengänge. Dazu diente das 1997 von der Deutschen Börse etablierte Segment „Neuer Markt“, das allerdings bereits 2003 wegen erwiesener Erfolglosigkeit schon wieder komplett eingestellt wurde.
Facts & Figures
Geschäftsjahr 2020/21:
Umsatz 529 Mio. Euro
Jahresüberschuss 9,7 Mio. Euro
Bilanzverlust 240 Mio. Euro
Geschäftsjahr 2021/22 :
Umsatz 520 Mio. Euro
Jahresüberschuss 7,9 Mio. Euro
Bilanzverlust 232 Mio. Euro
Quelle: Bundesanzeiger
Anfangs war auch EM.TV Gesellschafter
Mytoys ging nicht den Weg einer Börsennotierung im Neuen Markt, sondern suchte sich Investoren. Neben Otto war für kurze Zeit eine der damals auffälligsten Aktiengesellschaften des neuen Börsensegments an Bord, das Münchener Unternehmen EM.TV & Merchandising. Deren Gründer, das Brüderpaar Thomas und Florian Haffa, zählten zu den Shootingstars des Neuen Markts. Ihre AG übernahm gemeinsam mit Otto 40 Prozent der Anteile an Mytoys und hatte Großes vor. Zum Portfolio von EM.TV gehörte auch die Spielwaren-Dachmarke Junior.
Die Online-Vermarktung sollte über das Internetportal Mytoys laufen, das in myJunior.de umbenannt werden sollte. Damit wollten EM.TV, Otto und Mytoys zur „führenden europäischen und mittelfristig weltweiten Plattform“ für die Zielgruppe Baby, Kind und Jugend werden. Daraus wurde nichts, weil Mitte 2000 immer klarer wurde, dass EM.TV auf tönernen Füßen stand, was in der Folge zu einem der spektakulärsten Firmenzusammenbrüche der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte führte. Deshalb hatte sich das Thema EM.TV bei Mytoys schnell erledigt.
Otto übernahm 2000 die Mehrheit
Das nutzte die Otto-Gruppe und sicherte sich mit 74,8 Prozent die Mehrheit an Mytoys. Der Anteil wurde 2015 auf 94,8 Prozent ausgebaut. Mytoys hatte mit Otto einen finanzstarken und seriösen Mehrheitsinhaber aus der Old Economy. Und trotzdem ließ sich Mytoys offenkundig von der Unsitte des Neuen Marktes inspirieren, wonach Umsatz wichtiger war als Ertrag. Denn es dauerte bis zum Geschäftsjahr 2006/2007, bis im Bundesanzeiger neben einem „signifikanten Umsatzanstieg“ um 43 Prozent auf rund 58 Mio. Euro eine Besonderheit gemeldet werden konnte.
„Erstmalig“, so wurde betont, hätten Umsatzanstieg und eine verbesserte Rohertragsmarge ausgereicht, „um einen deutlich positiven Jahresüberschuss in Höhe von 838.000 Euro zu erwirtschaften“. Der wiederum reichte aber nur aus, um den aufgelaufenen Verlustvortrag auf 46,3 Mio. Euro zu minimieren. Der nicht durch Eigenkapital gedeckte Bilanzverlust betrug 25 Mio. Euro. Die insolvenzrechtlichen Konsequenzen dieser Überschuldung konnten nur wegen der Rangrücktrittserklärungen der Gesellschafter vermieden werden.
Nur kurze bilanzielle Verschnaufpause
In den Folgejahren gab es weitere Umsatzsteigerungen, aber seltener Jahresüberschüsse. Deshalb wuchs die bilanzielle Überschuldung. Bis zum Geschäftsjahr 2017/18 hatte sich die finanzielle Schieflage derart verschärft, dass eine Kapitalerhöhung erforderlich wurde. Mit ihr wurden Nettodarlehensforderungen der Gesellschafter in Höhe von rund 271 Mio. Euro in Eigenkapital umgewandelt.
Konsequenter Ausstieg
Die Verschnaufpause war nur von kurzer Dauer. Die finanzielle Lage blieb desolat, wie der Bilanzverlust von 232 Mio. Euro bei einem Umsatz von 520 Mio. Euro im Geschäftsjahr 2021/22 belegt. Die Frage bleibt, ob ein konsequentes Risikomanagement während der zurückliegenden Jahre den Mytoys-Absturz nicht hätte verhindern können. In der Pressemitteilung über das Ende des Tochterunternehmens heißt es dazu, das „hart umkämpfte und zugleich niedrigpreisige Segment Spielwaren“ sei mit der entsprechenden Diversifizierung in den Sortimentsfeldern leichter innerhalb des Marktplatzes von Otto profitabel zu bewirtschaften, „als es einem Pure Player wie Mytoys möglich ist“. Immerhin zieht Otto nun die Konsequenzen aus einer Erkenntnis, auf die kritische Branchenkenner schon viel früher hingewiesen hatten.