Auch bedrohte Ware findet immer ihren Weg
Für den unter Beschuss aus dem Jemen liegenden Seeweg am Horn von Afrika gibt es Alternativen. Sie verteuern zwar die Frachtraten, sind aber praktikabel. Aus der Abhängigkeit der Fernost-Beschaffung von Konsumgütern in Fernost führt aber nach wie vor kein Weg vorbei.
Von Carsten Kortum
Sichere Route: Frachter vor dem südafrikanischen Tafelberg
Etwa zwei Drittel der Importe zwischen Deutschland und Ostasien verlaufen auf dem Schifffahrtsweg von Fernost über das Horn von Afrika durch den Suez-Kanal nach Europa. Jedes Jahr fahren hier ca. 20.000 Schiffe mit verschiedensten Ladungen von Rohöl bis zu Foodund NonfoodProdukten wie z.B. Spielwaren. Aufgrund des Nahost-Konflikts ist der Schiffsverkehr durch diese Hauptverkehrsader der Weltwirtschaft stark eingebrochen. Grund sind die kontinuierlichen Angriffe aus dem Jemen auf Handelsschiffe. Bis Mitte Januar 2024 waren es schon mehr als 30 solcher Attacken.
GROSSE UMWEGE NÖTIG
Auch wenn heute immer noch zahlreiche Schiffe auf der Route vor dem Jemen im Roten Meer un-
terwegs sind, so meiden mittlerweile 18 Reedereien dieses Seegebiet. Große ContainerReedereien wie A.P. MollerMaersk, MSC Mediterranean Shipping Company, CMA CGM oder Hapag-Lloyd fahren Umwege am ganz im Süden Afrikas gelegenen Kap der Guten Hoffnung vorbei. Das bedeutet auf der Strecke Singapur nach Hamburg eine 6343 Kilometer und damit 11 Tage längere Fahrt. Wer doch noch durch den Suez-Kanal will, muss mit sehr hohen Versicherungsgebühren rechnen. Nach dem Malheur mit der Ever Given der Evergreen Line im März 2021, die sich im Suez-Kanal quergelegt hatte, hat sich das Problem jetzt um einige hundert Kilometer nach Süden verlagert. Mit dem gravierenden Unterschied, dass es sich bei der Ever Given um einen banales Missgeschick beim Manövrieren gehandelt hat, bei den Attacken aus dem Jemen geht es um das Leben von Schiffsbesatzungen. Die Folgen für die Weltwirtschaft sind allerdings vergleichbar: Schon wieder sind die Lieferketten aus Asien gestört. Diesmal sogar viel empfindlicher, weil ein Ende dieser Bedrohung nicht abzusehen und sogar eine Eskalation des Konflikts nicht auszuschließen ist Stand Redaktionsschluss dieser pt-Ausgabe).
Im Ergebnis haben die Frachtraten drastisch anzogen nach Phasen einer kontinuierlichen Entspannung nach dem Peaks in der Coronazeit. Nach Angaben des Frachtbuchungsportals Freightos haben sich die Transportraten
von Asien nach Europa auf 4.000 USD pro Container verdoppelt. So hat beispielsweise auch die französische Großreederei CMA CGM angekündigt, die Frachtraten von Asien nach Europa in diesem Umfang zu erhöhen.
Die höheren Containerfrachten werden vor allen Dingen neue Logistikverträge betreffen und damit die Einkaufspreise inklusive Fracht nennenswert erhöhen, gerade bei großvolumigen Produkten. Inwieweit sich die Einkaufspreise für den Handel insgesamt verändern, hängt auch von weiteren Faktoren ab, zum Beispiel den Einkaufspreisen in den Fabriken in Asien. Diese sind aufgrund der oft unausgelasteten Kapazitäten teilweise rückläufig. Die angespannte Situation am Horn von Afrika wird vom Markt nicht als kurzfristig eingeschätzt. Gradmesser dafür ist nicht zuletzt die Bewertung der börsennotierten Reedereien, die angesichts ihrer überragenden Bedeutung für den Welthandel überproportional zu den Frachtraten angestiegen ist.
SCHWIERIGE ENTSCHEIDUNGEN
Auch wenn der deutsche Handelsverband HDE die Lieferketten nach überstandener Corona-Zeit stabiler sieht, so gibt es viele Händler, die unmittelbar von der Lage am Horn von Afrika betroffen sind. Da es im Nonfood-Geschäft Produktgruppen mit fast 100prozentiger Importquote von Toys bis zu Elektronik aus Ostasien gibt, werden von Februar an wieder Verspätungen im Listungs- und Aktionsgeschäft zu verzeichnen sein. Die Werbetermine vor allem bei den Discountern werden zwei Wochen nach hinten rutschen. Die eng getakteten Aktionspläne werden also durcheinanderwirbeln, gerade für das wichtige Ostergeschäft. Auch die von vielen Importeuren betriebene Strategie „out of China“, also die Verlagerung der Beschaffung in andere fernöstliche Länder, bringt hier nichts. Denn auch die Ware aus Indien, Vietnam oder Thailand muss in den meisten Fällen am Horn von Afrika vorbei.
HOHER IMPORTANTEIL
Inwieweit ist die Spielwarenbranche davon betroffen? Deutschland hat im Jahr 2022 nach Zahlen des Statistischen Bundesamts Spielwaren im Wert von 2,96 Mrd. Euro importiert. Über 85 Prozent der Importe in die EU kommen aus China. Bei den Spielwaren sind die jeweiligen Markenhersteller und Importeure sehr unterschiedlich von der gestörten Lieferkette betroffen. Kaum Auswirkungen dürfte es wegen deren Produktionsstätten in der EU bei Playmobil, Amigo und Bruder geben. Sie könnten durch eine gute Warenverfügbarkeit vielleicht sogar profitieren.
Ravensburger, Schmidt und Lego haben nur einen sehr geringen Teil, der von der gestörten Lieferkette betroffen ist. Es reicht hier aber schon aus, wenn bestimmte Kleinteile aus Asien für in Europa produzierte Produkten fehlen (z.B. Lego Friends), um auch hier eine verzögerte Warenverfügbarkeit zu verursachen. Es gibt auch Spielwarenanbieter, die bei ihrem Warenbezug fast nur auf China setzen wie z.B. Carrera, Zapf, Burago, Chicco und Wiking.
Viele Spielzeugunternehmen fahren bei der Beschaffung eine hybride Strategie mit einem Fernost-Anteil zwischen 30 und 70 Prozent: Beispielsweise Schleich (Verlagerung der Produktion schon vor längerem nach China und Tunesien) oder die Simba-Dickie-Gruppe (Schuco z.B. aus China), genauso aber auch die großen US-Konzerne Mattel und Hasbro bei vielen ihrer Produktgruppen (das Spiel Risiko kommt aus Irland; Uno, Monopoly, Matchbox, Nerf und Play-Doh dagegen aus China).
BESONDERE HERAUSFORDERUNG
Auch im Gaming-Bereich wird das Zubehör aus Fernost importiert, seine Spiele bezieht Nintendo direkt vom Stammsitz in Japan. Bei Sony ist es übrigens anders, die Spiele für die Playstation werden in Österreich produziert. Große Teile des umfangreichen Produktionsprogramms der Spielwarenbranche sind also sehr unterschiedlich von den Behinderungen der Logistik betroffen. Die Branche hat über sehr lange Zeit von den niedrigen Herstellungskosten in den Spielzeugclustern in China profitiert und ist jetzt erneut mit den bekannten Risiken in der Lieferkette nach Europa konfrontiert. Nonfood bleibt weiterhin eine besondere Herausforderung für den Handel. Neben einem veränderten Käuferverhalten gibt es auf der Angebotsseite immer wieder Störungen in der Lieferkette. Der Handel und hier im Speziellen der Spielwarenhandel werden mit einer vermehrten Zwischenlagerung und Flexibilisierung der Promotions reagieren müssen. Eine Rückverlagerung der Produktion nach Europa ist für die Branche keine Option. Retailing has never been easy! Das gilt auch für Spielwaren.