Schöner Schein – das Risiko mit den Lizenzen

26.06.2024 | Deep Dive, Hintergrund

Im Lizenzuniversum locken Ruhm und Geld. Allerdings handelt es sich beim Geschäft mit Vermarktungsrechten aus Film, Fernsehen oder Sport immer auch um Wetten auf die Zukunft. Tops und Flops liegen deshalb in der Lizenzbranche nahe beieinander. Obwohl sich in Deutschland während der vergangenen 30 Jahre dieses Vermarktungsgeschäft professionalisiert hat, kommt es nach wie vor zu Fehleinschätzungen, die zu wirtschaftlichen Schieflagen bis hin zum Totalverlust führen können.

Einschätzungen von Tassilo Zimmermann

Messe - das Messegebäude der Messe Nürnberg, in der auch die Deutsche Spielzeugmesse stattfindet

Die bunte Welt der Lizenzen wird gerne aus naheliegenden Gründen bei Branchenveranstaltungen aller Art auf eine Weise zelebriert, als gäbe es keine Risiken. Der schöne Schein täuscht aber darüber hinweg, dass es um ein knallhartes Business geht, bei dem hohe Summen auf dem Spiel stehen.

Komplexität benennen

Symptomatisch für diese spezielle Konstruktion von Realität war vor einigen Jahren beispielsweise der Auftritt der damaligen Verantwortlichen der deutschen Dependance des internationalen Branchenverbands Licensing International (LI), der damals noch unter der Bezeichnung LIMA firmierte, auf einem der Nonfood Kongresse der LZ in Berlin.

Der Vortrag von Heike Winner vor den dort versammelten Top-Entscheidern aus Handel und Industrie fiel unter die Rubrik: verpasste Chancen. Statt dem Auditorium einen Eindruck von der Komplexität dieses spannenden Geschäftsbereichs zu vermitteln, blieb das Referat auf dem Niveau eines Werbeclips mit dem Versprechen der Leichtigkeit des Seins.

Ihre Empfehlung lautete: Suchen Sie sich Lizenzcharaktere, schließen Sie Verträge mit den Rechteinhabern oder deren Agenturen und wenn die entsprechenden Produkte auf den Markt kommen, dann wird das ein Erfolg. Das grenzte schon an Fahrlässigkeit, die unbestreitbaren Untiefen des Lizenzgeschäfts völlig auszublenden. Allerdings ist auch rückblickend Heike Winner persönlich kein Vorwurf zu machen. Sie hatte wenig Spielraum. Denn die streng gewinnorientierte US-Mutter Licensing International hat ihre eigene Agenda, an die sich uneingeschränkt auch die deutsche Dependance halten muss.

 

Verpasste Chancen

Und allererstes Ziel heißt: Geld für die LI-Kasse zu erwirtschaften. Es gehört zu den Besonderheiten dieser Branche, dass ihr bis heute eine Interessenvertretung fehlt, die über den eigenen Tellerrand schaut. So wie es der IT- und Telekommunikationswirtschaft mit ihrem Branchenverband Bitkom gelungen ist. Auch Winner-Nachfolger Peter Hollo waren in dieser Hinsicht die Hände gebunden. Und auch für die seit Anfang 2024 amtierende Hollo-Nachfolgerin Ute Stauss wird es aus dem US-Anforderungskorsett kein Entrinnen geben.

Ob sie den bisherigen LI-Veranstaltungen im Frühjahr in Köln und im Herbst in München andere Impulse geben kann, die der Bandbreite dieses Geschäfts gerecht werden, muss sich noch zeigen. Grundsätzlich ist es bezeichnend, dass sich für die wichtige Lizenzbranche, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in Deutschland nie ein unabhängiger Veranstalter interessiert hat.

Denn dem Anspruch, nicht vornehmlich interessengeleitet zu agieren, genügte auch LI-Wettbewerber Advanstar nicht, der sich mit seiner Messe „Licensing Europe“, die aber nur 2001 und 2002 stattfand, hierzulande etablieren wollte. Auch der Spielwarenmesse eG in Nürnberg gelingt das nicht mit ihren jährlich gesondert ausgewiesenen Lizenzflächen und Vortragskonzepten. Weil ihre Genossenschaftsmitglieder vor allem Spielwarenhersteller sind, schränkt das naturgemäß die Möglichkeiten ein, eine umfassende Sicht auf die Branche zu bieten.

 

Blick aufs Ganze

Immerhin einen Versuch hat es vor langer Zeit gegeben, ein Forum zu schaffen, um der Lizenzbranche auf neutralem Boden die Möglichkeit zu geben, sich über wesentliche Entwicklungen des Marktes zu informieren und darüber auch zu diskutieren. Das war im Mai 2015 in Frankfurt der Licensing Summit im Verlagshaus des Deutschen Fachverlags (dfv), gemeinsam organisiert und veranstaltet vom Nonfood-Ressort der Lebensmittel Zeitung und der dfv-Verlagsschwester Conference Group.

Zwei Tage lang gab es Vorträge, Diskussionsrunden und intensiven Meinungsaustausch. Heike Winner war dabei, weil die Veranstaltung von der damaligen LIMA-Dependance unterstützt wurde. Teilnehmerin war übrigens auch ihre heutige Nachfolgerin Ute Stauss, zu dieser Zeit noch bei Disney Consumer Products Germany tätig.

Das Programm umfasste ein breites Themenspektrum. Es hat zum Teil noch eine Aktualität, dass es beim Durchlesen so wirkt wie Erinnerungen an die Zukunft. Butlers-Chef Wilhelm Josten berichtete über die Schärfung des Eigenmarkenkonzepts durch Lizenzen von Peanuts oder Disney. Stefan Hausberg, noch heute Top-Manager bei der deutschen Consumer-Products-Sparte von Warner, sprach beim Summit darüber, wie sich Lizenzthemen in Partnerschaft mit dem Handel erfolgreich vermarkten lassen.

Damals schwamm der DFB noch auf einer Erfolgswelle, weshalb der zuständige Abteilungsleiter Holger Merk Ratschläge geben konnte, wie „der Handel von der DFB-Erlebniswelt profitieren kann“. Über Lizenz-Kooperationen als Potenziale für die Kundenbindung im LEH sprach Martin Bieri, damals Manager bei TCC, einem der Spezialisten für Loyalty-Programme.

 

Profundes Wissen

Axel Dammler, heute noch an der Spitze des Marktforschers Iconkids, ließ das Plenum an seinen Erkenntnissen teilhaben über Fallstricke und Erfolgsfaktoren bei der Vermarktung von Celebrity Lizenzen. Denise Klug, damalige Analystin bei Planet Retail, heute LZ-Ressortleiterin, richtete beim Thema „Licensing and Private Label“ den Blick auf entsprechende Trends und Wachstumschancen im europäischen Markt.

Was für nachhaltige Folgen die von ihr vorgestellten Aktivitäten von Händlern wie Lidl, dm oder Rossmann für die Entwicklung und Professionalisierung des Lizenzgeschäfts in Deutschland und Europa hatten, ist übrigens bis heute vielen Brancheninsidern unbekannt.

Profunde Einblicke gab es zudem zum Bereich „Global Brand Licensing“ von Sven Thierhoff, auch heute noch Vice President von IMG. Praktische Beispiele über die Vermarktung von Markenlizenzen vermittelte Christian Mayer, der damalige Geschäftsführer der Telefunken Licences GmbH. Aus Herstellersicht referierte Guido Koch, damals Geschäftsführer von Jansen Textil, aktuell als geschäftsführender Gesellschafter von K&P Brand Concept weiterhin der Lizenzbranche treu.

Auch zur Diskussionsrunde zum Thema „Mit Lizenzen am POS punkten – Wachstumschancen für Handel und Hersteller“ versammelten sich Experten von Rang und Namen. Dabei waren damals Christian Neuber (Blue Ocean), Roger Balser (Hasbro) Sanela Smailhodzic (ProSiebenSat1 Licensing) und Helmut Stiefel (Disney Germany).

Unabhängiger Veranstalter

 

Abgerundet wurde das Programm von Vorträgen über eine sinnvolle Verbindung von Lizenzen für Food und Nonfood mit Erlebniswelten im Handel. Genauso gab es vertiefende Referate über die rechtlichen Fallstricke von Lizenzverträgen sowie die Sicherstellung von Qualitätsstandards bei der Beschaffung in Fernost.

Wegen des sehr breit gefassten Themenspektrums, der Qualität der Referate, aber auch der Besucher, sowie den Möglichkeiten zum ungezwungenen Austausch war die Resonanz der Kongressteilnehmer überaus positiv. Hervorgehoben wurde besonders der Mehrwert, der entsteht, wenn ein führendes Fachmedium wie die LZ mit der ihm eigenen Unabhängigkeit ein solches Branchen-Event veranstaltet.

Mehr Tiefgang wagen, so lässt sich die damalige Resonanz aller Beteiligten zusammenfassen. Heute würde man das als „Deep Dive“ bezeichnen, nicht ohne Grund nutzt planet toys diesen Begriff für seinen Newsletter.

Der Bedarf ist da – was fehlt ist das Forum, auf dem über den Wandel im Lizenzgeschäft gesprochen wird

Lizenzuniversum im Wandel

Eine so umfassende, von unabhängiger Seite organisierte, Gesamtschau des Lizenzgeschäfts, mit dem Fokus auf den Handel als unerlässlichen, geradezu lebensnotwendigen Distributor, hat es seither zumindest hierzulande nicht mehr gegeben. Denn trotz aller Ermunterung, auf diesem Weg weiterzumachen, um der Lizenzbranche dauerhaft eine solche Plattform zu sichern, gab es keine Fortsetzung.

Der Organisationsaufwand war nicht zu stemmen, denn mit dem jährlichen Nonfood Kongress der LZ gab es seit 2009 ein erfolgreiches und bewährtes Format, das es auf hohem Niveau weiterzuentwickeln galt. Lizenzthemen wurden deshalb regelmäßig ins jeweilige Kongress-Programm integriert.

Das Potenzial ist weiterhin hoch für eine unabhängige Veranstaltungsplattform, auf der kompetent die Chancen und Risiken dieses Wirtschaftszweigs beleuchtet werden. Die Notwendigkeit besteht umso mehr, weil die Lizenzbranche zunehmend unter Veränderungsdruck gerät.

Die Alarmzeichen aus Hollywood mehren sich, dem Zentrum schlechthin für erfolgreiche Lizenzcharaktere. Offenbar werden die Helden müde, die nicht nur den Filmen Glanz und Gloria verleihen sollen, sondern auch dem Lizenzgeschäft.

 

Wie beim Klassentreffen

Die zum Teil seit deutlich mehr als 20 Jahren erfolgreichen Blockbuster-Lizenzen verlieren an Strahlkraft. Nicht zuletzt, weil viele Menschen der zahlreichen Sequels und Prequels müde sind, wie in einer Analyse auf der BBC-Homepage vermutet wird. Schwerwiegend sind auch die Veränderungen bei der Mediennutzung. Der Tag des Kinostarts in den USA war jahrzehntelang zeitgleich auch der Beginn der meist weltweiten Vermarktung der jeweiligen Lizenzthemen im Handel.

Doch dieser alte Zauber wirkt nicht mehr, weil die Zahl der Menschen wächst, denen ein Kinostart und erst recht ein Kinosaal egal ist, weil sie Filme lieber nach freier Zeiteinteilung bequem zuhause über einen Streaming-Anbieter anschauen. Höchste Zeit für die Lizenzbranche also, sich beim gemeinsamen Gedankenaustausch intensiv mit der Gesamtentwicklung zu beschäftigen. Am besten auf neutralem Grund, so wie bei einem Klassentreffen.