Treibstoff Messe

11.01.2024 | Deep Dive, Hintergrund, Messe

Messen liefern seit Jahrhunderten die Kommunikationsplattform für Geschäfte. Die aktuellen Krisen stellen das Geschäftsmodell Messe vor neue Herausforderungen. Dennoch bleiben sie einer der wichtigsten Treffpunkte und ein zentraler Faktor im Marketing-Mix von Unternehmen.

Von Ulrich Texter

Messe - das Messegebäude der Messe Nürnberg, in der auch die Deutsche Spielzeugmesse stattfindet

Die Messe ist eine Erfindung des Mittelalters und Deutschland das Messeland schlechthin. Leipzig, das 1165 das Stadt- und Marktrecht verliehen bekam, gilt als einer der ältesten Messeplätze der Welt. Heute zählt Deutschland mit etwa 100 Messeveranstaltern, die rund 40 internationale Messen organisieren, zu den größten Messestandorten weltweit. Vier der zehn größten Messegesellschaften haben ihren Sitz in Deutsch­land. Der Platzhirsch ist unangefochten die Hannover Messe, die weltweit auf Platz vier liegt – nach den Messen in Guangzhou, Shanghai sowie Shenzhen – und die nach dem Zweiten Weltkrieg wie keine andere Messe das deutsche Wirtschaftswunder begleitet und vorangetrieben hat.

Deutschland – Messeland No. 1

Zwei Drittel der international führenden Leitmessen finden zwischen Flensburg und Friedrichshafen, Cottbus und Aachen statt, u. a. die Weltleitmesse für Spielwaren in Nürnberg. Damit liegt das Land der Dichter und Denker auf Platz 1. Laut „World Map Of Exhibition“ der „Global Association of the Exhibition Industry“ vom Dezember 2023 gibt es aktuell weltweit 1.424 Messeplätze. Ihre volkswirtschaftliche Bedeutung ist kaum zu überschätzen. Im Vor-Coronajahr 2019 trug die deutsche Messewirtschaft 28 Milliarden Euro zum gesamtwirtschaftlichen Plus bei. Dieser Wert dürfte zwar 2023 im ersten Jahr mit einem kompletten Messe­programm nach der Pandemie wohl noch nicht erreicht worden sein, aber es war ein Jahr der spürbaren Erholung. Das gilt auch für die Spielwarenmesse. Ihr Vorstandssprecher Christian Ulrich zeigte sich denn auch mit dem Restart in 2023 zufrieden. Nicht ohne Grund. Das „positive Feeling“ von Ausstellern und Besuchern war allenthalben in den Nürnberger Messehallen zu spüren gewesen.

Spielwarenmesse 2023

Die Spielwarenmesse in Nürnberg. Eine der vielen weltweit führenden Messen in Deutschland.

Messen – das unersetzliche Kommunikationstool

Das Gros der ausstellenden Unternehmen habe nicht am Schaufenster Messe gezweifelt, schreibt Philip Harting, Vorsitzender des Verbands der deutschen Messewirtschaft AUMA, im Trendreport 2023/2024. Allein 2023 seien fast 20 neue Messeformate an den Start gegangen, ein weiteres Indiz dafür, dass die Kontaktbörse Messe nichts an Attraktivität verloren hat. Präsenz bleibt offensichtlich unschlagbar. Schützenhilfe erhält der Mann von einer 2022 veröffentlichten Studie des Bundesverbands Industrie Kommunikation e.V. (bvik), der zufolge Messen der Schwerpunkt in der Kommunikation von Industrie-Unternehmen bleiben. Rund 58.000 deutsche Unternehmen sind als Aussteller im B2B-Segment tätig. In den Bereich „Messen und Events“ fließen nach wie vor die größten Budgets der Befragten. Laut dem Institut der deutschen Messewirtschaft sind die fünf wichtigsten Gründe einer Messebeteiligung die Stammkundenpflege (90 %), die Steigerung der Bekanntheit von Unternehmen und Produkten (89 %), die Neukundengewinnung (89 %), die Präsentation von neuen Produkten und Leistungen (82 %) sowie die Imageverbesserung des Unternehmens bzw. der Marken (83 %).

Zurück zu alter Stärke

Selbst wenn Messen ein multifunktionales Instrument sind, wie der AUMA schreibt, gehen die vielfältigen Herausforderungen an diesen Kontaktbörsen nicht spurlos vorbei. Geopolitische Verwerfungen, gesamt­wirtschaftliche Turbulenzen, die fortschreitende Digitalisierung wie auch eine präzisere Kosten-Nutzen-Analyse von Unternehmen hinsichtlich von Messeauftritten bleiben nicht ohne Einfluss auf die Messeveranstalter. Frühestens 2025 rechnet deshalb die Messewirtschaft in Deutschland mit einer breiten wirtschaftlichen Er­holung. Die Indizien sprechen heute schon dafür, dass die Messelandschaft zu alter Stärke zurückfindet. „Der Ausstellerstand 2024“, sagt Christian Ulrich, „liegt deutlich über dem des Jahres 2023.“ Er ist nicht der einzige Messemacher, der sich auf einem Weg zu alter Stärke fühlt.

Erfolgreich seit 860 Jahren

Auch wenn sich die Messelandschaft in den vergangenen Jahren gewandelt hat – die Spielwarenmesse liefert mit ihrem breiten Serviceangebot ein Beispiel für diesen Wandel –, der Nürnberger weiß eine Reihe guter Argumente auf seiner Seite, dass Messen weiterhin das Schaufenster für Trends, neue Produkte, die Anbahnung von Geschäften und somit die Leitveranstaltungen für ihre Branche bleiben. Erstens: Neue Trends einer Branche erkennt man nur live und oft spielt der Zufall/das Glück eine Rolle bei Aufspüren von Trendprodukten. Im Netz findet man hingegen nur das, was man ohnehin schon kennt. Zweitens: Im Internet lassen sich Produkte weder anfassen noch ausprobieren. Das ist bei hochemotionalen Produkten wie Spielwaren ein erhebliches Manko. Drittens: Auch wenn die Digitalisierung vieles erleichtert und Prozesse beschleunigt, Business ist und bleibt „people business“, das auf Vertrauen basiert. Und viertens: Selbst wenn Stammkundenpflege oberste Priorität bei den Ausstellern genießt, neue Geschäftspartner wird man kaum virtuell finden. Das bedeutet nicht, dass Messen mehr denn je über Mehrwerte, die sie ihren Kunden bieten können, nachdenken müssen, aber auch wenn sie sich wandeln, um kunden- und marktorientierter zu werden – was sie im Übrigen seit nunmehr 860 Jahren tun –, ihr großes Pfund ist und bleibt das „Zwischen­mensch­liche“, denn an nichts ist der Mensch so interessiert wie an Menschen.

Facts & Figures

3.142.694 m² Messefläche in Deutschland
51 Messestandorte
351 Aussteller bei der ersten Deutschen Spielwarenfachmesse 1950
2.142 Aussteller und 58.000 Besucher bei der Spielwarenmesse 2023
1.000.000 präsentierte Produkte, 70.000 Neuheiten (Stand 2022)

Interview

Christian Ulrich, Sprecher des Vorstands der Spielwarenmesse Nürnberg
Christian Ulrich, Sprecher des Vorstands der Spielwarenmesse Nürnberg

ERFOLGREICHSTER NEUSTART ALLER MESSEN

Deutschland bleibt das Land der Messen. Daran konnte auch die Pandemie wenig ändern, wie die Spielwarenmesse 2024 beweist. Die Zahl der Aussteller nähert sich wieder Vor-Corona-Werten an. Messen bleiben trotz aller Unkenrufe das Schaufenster für Innovationen, der Impulsgeber für Branchen und ein unverzichtbares Trendbarometer. Deep Dive sprach mit dem Sprecher des Vorstandes der Spielwarenmesse, Christian Ulrich.
Von Ulrich Texter

Herr Ulrich, Deutschland droht 2024 eine Rezession, die Stimmung in der Wirtschaft und bei Ver­brauchern ist kritisch, die Ampel braucht Geld, Investitionen scheinen auf der Strecke zu bleiben, Deutschland trägt die rote Laterne beim Wachstum. Wie hart trifft es die Spielwarenmesse?

Christian Ulrich: Als Weltleit-Event der Branche sind wir zum Glück international sehr breit aufgestellt und mit dem momentanen Ausstellerstand, der deutlich über dem Wert von 2023 liegt, auch sehr zufrieden. Ein starkes Wachstum auf Ausstellerseite verzeichnen wir insbesondere bei Unternehmen aus Asien. Ebenso erreichen uns von US-amerikanischen Firmen viele kurzfristige Anfragen nach Teilnahmemöglichkeiten, da in ihrem Land 2024 keine vergleichbare Messe stattfinden wird. Darüber hinaus stimmen uns die Besucherzahlen im Vorverkauf zuversichtlich.


Beim Restart der Messe 2023 stellten 2.142 Unternehmen aus 69 Ländern aus. Vor genau zehn Jahren waren es noch 2.748 Aussteller, die den Fachbesuchern ihr Angebot an Spielwaren präsen­tierten. Verliert die Weltleitmesse womöglich an Bedeutung, weil Messeauftritt und Messebesuch immer stärker unter dem Aspekt Nachhaltigkeit bewertet werden?

Christian Ulrich: So weit muss man gar nicht zurückblicken – in 2020 fanden wir als eine der letzten Messen vor der Corona-Pause mit 2.843 Ausstellern statt. 2023 lag die Beteiligung bei über 80 %. Das bedeutet, dass wir einen der erfolgreichsten Neustarts aller Messen nach der Pandemie hatten. Momentan bewegen wir uns in Richtung des Vor-Corona-Werts mit größeren Schritten. Auch freut es uns, dass nach der Pandemie zahlreiche neue Unternehmen die Spielwarenmesse für sich entdeckt haben und den Besuchern viele Möglichkeiten zum Entdecken bieten. Sicherlich spielt bei unseren Kundinnen und Kunden das Thema Nachhaltigkeit eine wachsende Rolle. Gerade Messen stehen dazu nicht im Widerspruch. Vielmehr ermöglichen sie es Branchenteilnehmenden, kompakt an einem Ort und in kurzer Zeit, zahlreiche Geschäftspartner persönlich zu treffen, neue Kontakte zu schließen und Produkte mit allen Sinnen zu erleben.


In den letzten Jahren waren es stets drei Trends, die von einer internationalen Jury als Umsatzbringer identifiziert wurden. In diesem Jahr konzentriert sich Nürnberg auf einen Trend. Fehlt der Branche die Dynamik, die Kraft für Innovationen? Die Marktentwicklung scheint das ja zu bestätigen.

Christian Ulrich: Bei unseren jährlich ermittelten Trends handelt es sich um Strömungen mit größerem Potenzial. Dass wir uns in diesem Jahr mit „Life’s a Playground“ auf ein Thema konzentrieren, liegt daran, dass wir hier eine bedeutende und nachhaltige Chance für die Branche sehen. Vor allem der deutsche Handel nutzt diese unserer Meinung nach noch zu wenig, denn in diesem Bereich lassen sich ungeahnte Umsätze generieren. In Ländern wie China, Japan und Südkorea gibt es bereits viele Geschäfte, die sich ausschließlich an Kidults richten – und das äußerst erfolgreich. Das könnte auch bei uns ein Zukunftsmodell sein.

„Lifes’s a playground“ – Das Motto der Spielwarenmesse 2024 spricht gezielt auch Erwachsene an

Alles kommt wieder, nur in neuer Verpackung. Schon 2019 nahm die Spielwarenmesse die „ver­spielten Alten“ aufs Korn. Jetzt kommen sie unter dem Special „Life’s a Playground – Toys for Kidsters, Kidults & Co“. Was ist diesmal anders?

Christian Ulrich: Das Special ist für uns deutlich mehr als ein eventuell vorübergehender Trend. In den USA beispielsweise hat man die „Kidults“ bereits seit Längerem als kaufkräftige Zielgruppe identi­fiziert. Sie stehen allein für ca. 25 Prozent des Spielwarenumsatzes – mit rund neun Milliarden US-Dollar pro Jahr. Das Thema gewinnt nun auch in anderen Ländern, wie hier in Deutschland, zuneh­mend an Bedeutung. Sicherlich tragen auch die Rahmenbedingungen in diesen unruhigen Zeiten dazu bei, dass sich mehr Erwachsene Spielwaren zuwenden – man könnte von einer positiven Form des Eskapismus sprechen, da beim Spielen immerhin meist eine soziale Komponente beteiligt ist.


Wenn uns nicht alles täuscht, waren Erwachsene schon immer für die Branche relevant. Wir denken an die Modelleisenbahn, die Lego Technic Reihe oder den RC-Markt. Diese Produktgruppe hat der Handel doch nie aus den Augen verloren, oder?

Christian Ulrich: Der Hauptfokus des deutschen Fachhandels liegt auf Spielwaren für Kinder. Die Präsentation von Produkten für Erwachsene bietet oft noch Potenziale. Ein Paradebeispiel ist Ultra Comix in Nürnberg. Der Laden zählt mit seinem gut sortierten Sortiment auf drei Stockwerken zu den größten Comic- und Spielegeschäften Europas. Sein Produktangebot zielt auf Jugendliche sowie Erwachsene. Zudem verfügt das Verkaufspersonal über eine große Beratungskompetenz, da es sich selbst zu den Kidults zählt.


Auf einer Sonderfläche von rund 400 m² wollen Sie das ganze Spektrum von Produkten für Erwachsene präsentieren. Was kriegen die Fachbesucher zu sehen, was sie noch nicht kennen oder nicht als Spielzeug für Erwachsene identifizieren würden?

Christian Ulrich: Mit dem neuen Special bündeln wir erstmals die Kidults-Produkte, die auf der Spiel­warenmesse in zahlreichen Segmenten zu finden sind, kompakt auf einer Fläche. Dafür haben wir vier Kategorien entwickelt: „Collectibles“, „Premium Collectibles“, „Creative Fantasy“ – ein Segment, das in spannende Spielwelten entführt und die Kreativität über das freie Spielen fördert – und „Tabletop Games“. In authentischer Wohnzimmer-Atmosphäre liefern sie dem Handel wertvolle Inspirationen für die Sortimentsgestaltung und Platzierung am PoS. Gleichzeitig steht auf der Fläche die Vermittlung von Insiderwissen im Mittelpunkt. So wird während der Messe Ultra Comix vor Ort sein und Produkte aus den Bereichen „Creative Fantasy“ und „Tabletop Games“ live demonstrieren. Passende Vorträge im nahegelegenen Toy Business Forum runden das Angebot ab.

Herr Ulrich, wir bedanken uns für das Gespräch.

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