Vorreiter der Transformation gesucht

7.11.2023 | Deep Dive, Hintergrund

Der Schutz von Umwelt und Klima bleibt für die Deutschen ein wichtiges Thema. Das zeigt die jüngste Umweltbewusstseinsstudie der Bundesregierung. Die realwirtschaftliche Bedeutung nachhaltigen Wirtschaftens lässt hingegen zu wünschen übrig. Nur wenige deutsche Unternehmen arbeiten nach strengen nachhaltigkeitsorientierten Kriterien. Dafür boomen die Preise.

Von Ulrich Texter

Spielzeug muss nachhaltiger werden
Mehr als 200 Preise für Nachhaltigkeit soll es geben. Genau weiß das wohl keiner. Wie vor mehr als vier Jahrzehnten die Innovationspreise nur so aus dem Boden zu sprießen begannen, stehen derzeit Nachhaltigkeits- und Umweltpreise in voller Blüte. Kaum noch eine Branche oder Unternehmen ist mehr vor einer Nobilitierung sicher. Es gibt den Hans-Carl-von-Carlowitz Nachhaltigkeitspreis, den Green Product Award und Bundespreis Ecodesign, den B.A.U.M.-Umweltpreis und Deutschen Um­weltpreis. Natürlich mischt auch die Spielwarenbranche in diesem Konzert mit. So kürt die Spiel­warenmesse mit dem ToyAward auch „herausragende Innovationen“ im Segment „Sustainability“. Die Toy Industries of Europe loben den „Play of Change Award“ aus, darunter findet sich, natürlich, die Kategorie „Sustainability“. Keiner dieser Preise kann es jedoch mit dem Deutschen Nachhaltigkeits­preis (DNP) aufnehmen, der seit 2008 „wegweisende Beiträge“ zur Transformation in eine nach­haltige Zukunft auszeichnet, so die Organisatoren. Was damals eher noch als Thema einer Minder­heit von Weltverbesserern belächelt wurde, ist heute Mainstream.

Zeigt die Wichtigkeit des DNP: Olaf Scholz bei der Preisverleihung.

SPIELWARENBRANCHE MUSS „GRÜNER“ WERDEN

Es ist kein Geheimnis, dass sich die Spielwarenbranche seit geraumer Zeit den Kopf darüber zer­bricht, wie sie sich ein nachhaltiges Image geben kann. Mehrere Biotoy- und Nachhaltigkeitskonfer­enzen hat sie hinter sich und gute Gründe, sich zu transformieren, immer noch zuhauf, denn das Gros des Spielzeugs wird aus Plastik gefertigt, das inzwischen keinen guten Ruf genießt. Brüssel hat gerade im September mit seiner Mikroplastikverordnung die Branche aufgeschreckt, weil zwischen der Ver­öffentlichung des Gesetzestextes und seines Inkrafttretens gerade einmal 20 Tagen lagen. Auch das Argument, man setze auf die Langlebigkeit der Spielwaren, denke also in Generationen, entbindet die Hersteller nicht von der Frage, ob und wie bei der Produktion auf Umwelt und Menschen Rück­sicht genommen wird. Last but not least vermasselt der Umstand, dass eine Flut von Spielzeugen erst um den halben Globus geschippert werden muss, bis es in den Kinderzimmern der Alten Welt landet, jede Öko-Bilanz. Und nicht zuletzt dürfte der Lebenszyklus zahlreicher Ex-und-hopp-Spielwaren kaum mehr einer kritischen Öffentlichkeit zu vermitteln sein. Wer irreparables RC-Spielzeug aus Dosen feilbietet, darf sich nicht wundern, wenn Kritik aufkommt.

BRANCHE ERKENNT ZEICHEN DER ZEIT

Sich als Unternehmen zu positionieren, das es ernst meint mit dem Thema Nachhaltigkeit, ist jedoch alles andere als leicht, zumal der Begriff so schwammig ist, dass fast jeder etwas anderes darunter verstehen kann. Viele Unternehmen werden dennoch nicht umhinkommen, Farbe zu bekennen. Ab 2025 müssen schrittweise alle Unternehmen, die nach der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU berichtspflichtig sind, entlang der ESRS ihre Nachhaltigkeitsleistungen trans­parent machen. In Deutschland werden davon ca. 15.000 Unternehmen betroffen sein.

Das Wichtigste zum Deutschen Nachhaltigkeitspreis

  • Seit 2008
  • Über 800 Bewerber
  • Erste Preisträger: BSH Bosch & Siemens Hausgeräte GmbH, Henkel, Osram, Solarworld, BARMENIA, tegut, Axel Springer AG
  • Vergeben von: Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis e.V., in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung, dem Rat für Nachhaltige Entwicklung, kommunalen Spitzenverbänden, Wirtschaftsvereinigungen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Forschungseinrichtungen.

Grün verkauft sich gut

Unbestritten ist aber auch, dass sich ökologisches und soziales Engagement gut verkaufen lässt, wie es generell zu begrüßen ist, dass sich Unternehmen für eine gute Sache ins Zeug legen. Mattel führte 2021 ein neues Programm zur Rückgewinnung und Wiederverwendung von Materialien aus alten Mattel-Spielzeugen ein. Hasbro war ein wenig früher dran, kaputtes Spielzeug einzusammeln. Playmobil teilte 2022 mit, bis zum Jahr 2027 klimaneutral zu sein und verstärkt Rezyklate einzusetzen, während Schleich im selben Jahr versprach, eine Cradle-to-Cradle-Kreislaufwirtschaft einzuführen. Lego kündigte vor drei Jahren an, bis zu 400 Mio. US-Dollar in Nachhaltigkeitsprojekte zu stecken.

Die Regeln sind nicht eindeutig

Was ist grün oder nachhaltig? Die Kriterien nachhaltigen Wirtschaftens, so eine 2022 veröffentlichte Studie im Auftrag des Rates für Nachhaltige Entwicklung, sind nicht eindeutig definiert, was möglich­erweise zu branchenspezifischen Unterschieden hinsichtlich von Nachhaltigkeitsstrategien führt. Und auch leicht zu „Grünfärberei“ verführen kann. Die EU verwies im März des Jahres darauf, dass 53,3 Prozent der geprüften Umweltaussagen in der EU als vage, irreführend oder unfundiert beurteilt werden müssen und 40 Prozent der Aussagen nicht belegt waren. Der Anteil nachhaltigkeitsorien­tierter Firmen an der Gesamtheit aller deutschen Unternehmen beträgt jedenfalls nur 0,15 Prozent. Mehr als 3 Mio. Unternehmen würden derzeit eher ein Schattendasein hinsichtlich ihrer Nachhaltig­keitsstrategie fristen, heißt es weiter in der Studie. Brauchen wir also diese Flut an Nachhaltigkeits- und Umweltpreisen, um womöglich die Scheinwerfer noch stärker auf das Thema zu richten?

DNP MACHTE NISCHENTHEMA „SEXY“

Der Deutsche Nachhaltigkeitspreis zählt zu den bekanntesten wie begehrtesten Auszeichnungen. Dass der DNP heute so dasteht, dafür dürften auch die Partner und Ehrenpreisträger gesorgt haben. Bei der Multistakeholder-Initiative waren von Anfang an das politische Berlin, kommunale Spitzen­verbände, Wirtschaftsvereinigungen, zivilgesellschaftliche Organisationen und Forschungseinrichtungen mit von der Partie. Zum anderen ist es der 2019 gegründeten Stiftung gelungen, dem Thema Nachhaltigkeit mit der Preisverleihung und dem Deutschen Nachhaltigkeitstag, einer Art Kongress, eine große Bühne zu bereiten, bei der sich Prominenz aus allen gesellschaftlichen Bereichen die Klinke in die Hand gibt. Wer hat schon Annie Lennox, Richard Gere oder Billie Eilish auf der Bühne, um ihnen eine Kugel zu geben? Mehr Glamour geht kaum. Finanziert wird das Ganze durch Spon­soren, Fördergelder des Bundes, den Verkauf von Karten für den Kongress und die Preisverleihungen sowie aus den Lizenzeinnahmen des Siegels.

Interview

GOKI ERHÄLT DEUTSCHEN NACHHALTIGKEITS­PREIS

Der Deutsche Nachhaltigkeitspreis prämiert am 23. November Vorreiter in 100 Branchen der deut­schen Wirtschaft, die in den Feldern Klima, Natur, Ressourcen, Wertschöpfungskette und Gesellschaft beispielhafte Beiträge zur nachhaltigen Transformation geleistet haben. Im Wettbewerb Unternehmen wurde im Cluster „Freizeit und Veranstaltungen“ der Holzspielwarenhersteller goki ausgezeichnet. Ulrich Texter sprach mit goki-Geschäftsführer Thorsten Koss.

Herr Koss, goki erhält als erstes Spielzeugunternehmen den Deutschen Nachhaltigkeitspreis. Der DNP ist der bedeutendste europäische Preis, der Glamour-Faktor hoch. Macht es Sie stolz, Vorreiter zu sein?

Thorsten Koss: Natürlich freut uns das sehr. Gar nicht mal, weil der Glamour-Faktor so hoch ist. Es ist eine Würdigung der jahrelangen Arbeit. Wir haben schon Bäume gepflanzt, bevor es in aller Munde war. Und die Entscheidung, sich auf Holzspielzeug zu konzentrieren, ist ein bewusster Schritt Richtung nachwachsender Rohstoffe. Jährlich durchschnittlich 20.000 Bäume Schleswig-Holstein zu spenden, ist ein erklecklicher Beitrag für ein Unternehmen unserer Größenordnung. Stolz macht es uns auch, wenn wir sehen, was aus den kleinen Setzlingen von vor 15 Jahren geworden ist, wie ganze Wälder entstanden sind. Gerhard Gollnest verbringt seine Urlaube immer in Schleswig-Holstein und fährt dann gerne die alten Pflanzstandorte ab.

Goki Geschäftsführer Thorsten Koss

Thorsten Koss, Geschäftsführer von goki ist mit seinem Unternehmen als erster Spielwarenhersteller mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet worden.

Wie prüft die DNP-Jury Einreichungen von Spitzenleistungen? Mussten Sie harte, überprüfbare Fakten vorlegen?

T.K.: Der ganze Prozess von der Einreichung über die Nominierung bis hin zur Finalrunde und Auszeichnung ist ein mehrstufiges Verfahren. Dahinter stecken KI-gestützte Methoden und Expertenjurys. Konzentriert wird sich auf ein Haupttransformationsfeld, aber natürlich auch auf weitere Faktoren.


Und die wären?

T.K.: In unserem Fall war es die Aufforstung. Und die muss auch skalierbar sein. Stellen wir das, was wir für die Spielzeugproduktion jährlich brauchen, dem gegenüber, was wir für einen Baumbestand erzeugen, dann ist das ein Vielfaches des Verbrauchs, also Kreislaufwirtschaft par excellence. Und in der Zeit, in der die Bäume wachsen, binden sie nicht nur CO2, sondern dienen der Biodiversität. Ein weiteres Feld ist unsere europäische Energiebilanz. Wir erzeugen mehr Strom mit unseren Foto­voltaikanlagen, als wir benötigen. Eine soziale Komponente ist dann sicherlich unser Engagement im Schulbau in der 3. Welt. Seit 2001 sind es zehn, eine elfte ist gerade in Ghana im Bau.

Die soziale Komponente von Nachhaltigkeit:
goki engagiert sich auch ärmeren Ländern für das Wohl von Kindern

Mit Ravensburger, Schleich, Lego, Mattel und Playmobil haben Sie namhafte Konkurrenz hinter sich gelassen. Wie ist Ihnen das gelungen?

T.K.: Ich glaube schon, dass es der Zweiklang aus Holzspielzeug und Holzerzeugung ist, wobei ein Großteil der Bäume sicher nicht als Nutzholz enden wird. Wie konzentrieren uns seit fast 20 Jahren auf die Anpflanzung von Mischwäldern. Plus die Themen, die ich schon angesprochen habe. Und dann ist unser Engagement gemessen an unserer Unternehmensgröße – auch finanziell – durchaus signifikant. Was ist denn wahre Kreislaufwirtschaft am Ende? Mehr zu erzeugen, als man verbraucht.


Was bedeutet die Nobilitierung für die Zukunft? Werden Sie Ihre Anstrengungen verstärken, weil womöglich die Scheinwerfer stärker auf goki gerichtet sein werden?

T.K.: Wir sind sicher noch nicht am Ende unserer Anstrengungen. Ein Projekt ist, unseren Plastikanteil z. B. bei Verpackungen weiter zu reduzieren. Bei goki baby verzichten wir bei den Sichtfenstern auf die Plastikfolie. Wir lassen das Fenster quasi offen. Verpackungsgrößen orientieren sich am Inhalt und nicht an den Preispunkten. Und was machen wir, wenn die Landesregierung Schleswig-Holstein ihr Ziel, den Waldanteil auf 12 % zu erhöhen, erreicht hat? Wir werden weiterpflanzen.>


Versprechen Sie sich von dem Preis auch Vorteile im Markt?

T.K.: Natürlich wäre es schön, wenn sich daraus auch Vorteile ergeben würden. Aber machen wir es deswegen? Sicher nicht. Wenn Sie sich die Vergangenheit unseres Engagements anschauen, dann war es nie ein Mittel zum Zweck – zumindest nicht der. Wir haben früher darüber überhaupt nicht groß­artig kommuniziert. Aber wenn aus diesem zarten Pflänzchen irgendwann ein ganzer Wald entsteht und dem Konsumenten glaubwürdige Orientierung gibt, wäre es doch wunderbar. Und wenn nicht, wir bleiben dabei, denn es ist unsere innerste Überzeugung – getreu unserer Philosophie „Alles was wir tun, tun wir für die Kinder“.


Herr Koss, wir bedanken uns für das Gespräch.

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