Echter Laden für echte Menschen
Manuela, Holger und Liam Bauer eröffneten vor wenigen Monaten in Wismar, Mecklenburg-Vorpommern, ein Babyfachgeschäft. Eine eher subjektive, von Vorlieben beeinflusste Standortanalyse zeigte, dass die Schwaben im hohen Norden fehlen. Jetzt sind sie mit „Kleine Wunder“ da. Ulrich Texter sprach mit Holger Bauer.
Manuela und Holger Bauer vom Babyfachgeschäft „Kleine Wunder“ in Wismar
Herr Bauer, Sie sind ein „alter Hase“ der Branche, haben 16 Jahre einen Babyfachmarkt in Metzingen geleitet. Ihre Frau war bei Princess im Einkauf. Jetzt haben Sie, auch Ihr Sohn, dem Ländle den Rücken gekehrt, um als Trio einen eigenen Markenstore in Wismar zu eröffnen. Was ist in Sie gefahren, ein solches Risiko in unruhigen Zeiten einzugehen? Das Land gilt doch als strukturschwach?
Holger Bauer: Es sind durchaus alle wichtigen Strukturen vorhanden, aber es gibt eben auch noch Platz für Neues. Genau das hat uns aber neugierig gemacht. Städte wie Wismar oder Schwerin weisen ordentliche Geburtenzahlen auf, weshalb wir uns gefragt haben, ob es hier keine Läden gibt, weil sie keine brauchen, oder ob sie vielleicht doch Geschäfte wollen, aber es einfach keine gibt. Außerdem hat mich seit meinem Wehrdienst in der Marine meine Liebe zur Ostsee nie mehr losgelassen.
Die amtlichen Zahlen sagen etwas anderes. Die Geburtenzahlen in Mecklenburg-Vorpommern sinken seit Jahren. Helfen Ihnen die Touristen?
H.B.: Seit dem Höchststand 2016 gehen die Geburtenzahlen tatsächlich zurück, das ist richtig, aber wenn in einer Stadt wie Stuttgart fünf bis sechs Babyausstattungsgeschäfte existieren können und ein Flächenbundesland wie Mecklenburg-Vorpommern kein einziges hat, ist das für uns eine Chance. Der Online-Handel war hier immer präsent, die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern konnten schon immer gebrauchte Waren kaufen. Die spannende Frage war also, ob sie auch ein Fachgeschäft akzeptieren würden. Wir waren und sind jedenfalls davon überzeugt. Zudem darf man den touristischen Faktor nicht unterschätzen. Kleine Wunder bieten nicht nur Babyausstattung an, sondern auch ein Sortiment für Menschen mit Kindern, die hier Urlaub machen. Ja, der Tourismus ist ein Faktor.
Schauen wir auf die aktuelle konjunkturelle Lage, war der Zeitpunkt doch alles andere als ideal oder braucht Wismar Sie?
H.B.: Die Frage lässt sich nicht abschließend beantworten, denn wir haben das Geschäft erst im September 2023 eröffnet. Wismar ist unglaublich lebenswert. Es sind Menschen, die geradeaus, aber herzlich sind und uns hier toll unterstützt haben. Nach einem halben Jahr konnten wir bereits eine Stammkundschaft gewinnen, aber klar ist auch, dass wir daran weiterarbeiten müssen. Dass das hier nicht leicht wird, haben wir vorher gewusst.
Aus der Branche ist immer wieder zu erfahren, dass die Kundenfrequenz auf der Fläche seit Jahren zurückgekehrt. Umgekehrt ist zu hören, dass die Kunden nach der Pandemie wieder in den stationären Handel zurückkommen. Was stimmt?
H.B.: Beides ist richtig. Es gibt Tage und Zeiten, wo man denkt, es passiert rein gar nichts im Geschäft, dann wiederum gibt es Tage und Zeiten, wo man das Gefühl hat, es ist doch alles in Ordnung. Traditionell ist die Zeit zwischen den Jahren und die erste Januar-Woche Fachhandelszeit. Die Menschen haben Zeit, sie haben Geld oder Gutscheine. Die letzten zwei Wochen waren jedenfalls wirklich gut. Sicherlich kommt auch wieder eine schwächere Phase. Das sind normale Zyklen. Wichtig ist, dass die Kunden das Gefühl haben, dass es sich lohnt, in ein Geschäft zu gehen. Dann kommen sie auch. Wir sind zwar noch lange nicht dort, wo wir hinwollen, aber nach meinem Eindruck haben wir in Wismar schon viele Menschen erreicht. Natürlich brauchen wir auch Schwerin, Güstrow, Hagenow und das ganze Umland als Einzugsgebiet.
Der Einzelhandel zog zum Ende des Weihnachtsgeschäftes eine gemischte Bilanz. Welche ziehen Sie?
H.B.: Wir haben nichts erwartet und wir haben nichts bekommen (lacht). Nein, das Weihnachtsgeschäft im Babyhandel ist traditionell schwierig. Viele sind der Ansicht, vor Weihnachten werden Spielwaren ohne Ende gekauft. Das findet jedoch immer später und auch immer stärker online statt. Man muss sich deshalb auf Kunden einstellen, die nach Weihnachten Geschenke kaufen wollen, und diese auch vorrätig haben, weil sie den Wunsch haben, sie sofort zu kaufen.
Kommen wir zum Store. Was sind die Stärken von „Kleine Wunder“? Erleben die Kunden bei Ihnen ein, wenn nicht blaues, so doch ein kleines Wunder?
H.B.: Ja, das würde ich schon sagen. Das Geschäft ist wirklich sehr schön gestaltet, was uns von allen, die uns besucht haben, bestätigt wird. Wir haben es nicht vollgestopft, wie es so oft im Babyhandel geschieht, wir sind familiär und immer ansprechbar. Und wir sind bereit, uns mit unseren Kunden zusammen weiterzuentwickeln, denn durch unseren Sohn kommt auch eine junge Sichtweise zur Geltung.
Service ist vielleicht der wichtigste Faktor, warum Menschen ins Fachgeschäft gehen. Was bietet Kleine Wunder, damit die Kunden auf den Geschmack kommen?
H.B.: Service ist ein diffuses, ein merkwürdiges Wort. Service muss man mit Taten und Leben füllen. Kunden steht über das Internet und die sozialen Medien so viel Information zur Verfügung, dass sie manchmal darüber regelrecht verzweifelt sind, was sie mit diesen ganzen Informationen anfangen sollen. Wir sortieren für sie, wir lassen sie ankommen, ihnen Zeit und auch wieder vom Haken, um ihre eigene Wahl zu treffen. Überzeugt man Menschen, kaufen sie am Ende eigentlich von alleine. Das ist das, was wir bieten wollen: Menschen, zu denen man gerne kommt.
Generell, wie hat sich in den letzten 30 Jahren das Kundenverhalten verändert?
H.B.: Die größte Veränderung für uns stationäre Händler ist sicherlich, dass Menschen heute erwarten, zu jeder Zeit alles einkaufen zu können. Das kann kein Fachgeschäft bieten. Fachberatung und Service werden zwar gewünscht, wurden aber lange Zeit nicht finanziell honoriert. Das ändert sich momentan. Wir haben in dem halben Jahr seit unserer Eröffnung noch keinen Kunden gehabt, der den Preis moniert hat, obwohl wir mit den günstigsten Online-Händlern nicht immer mithalten können.
Stichwort Erwartungen. Warum verfügen Sie eigentlich über keinen Online-Shop, der das erfüllen könnte?
H.B.: Weil wir uns gesagt haben, dass es den Online-Handel hier seit jeher gibt und das, was uns stark macht, der Offline-Handel ist. Es war eine bewusste Entscheidung. Natürlich spielten auch finanzielle Aspekte und die Tatsache, dass wir kein Lager haben, eine Rolle. Mittelfristig käme wohl eine Präsenz auf Platt formen infrage, um bestimmte Artikel zu vermarkten, aber kein professioneller Online-Shop.
Social Media, aber auch digitale Produktpräsentationen, die gleichsam die Fläche erweitern, spielen eine zunehmend größere Rolle. Welchen Stellenwert besitzt das bei Kleine Wunder?
H.B.: Persönlich bin ich kein Fan von Social Media, aber meine Frau bespielt das Thema Instagram wirklich ganz toll und spannt uns immer wieder für Videos ein. Vermutlich müssten wir hier noch mehr tun und das werden wir auch, aber wir wollen ein echter Laden für echte Menschen sein.
Welche Rolle spielt Spielzeug im Sortiment?
H.B.: Für ein Geschäft ist es elementar wichtig, dass stets ein Wechsel stattfindet, dass nicht immer das Gleiche am gleichen Platz steht. Man braucht im Laden einfach Bewegung. Bekleidung, Accessoires und Spielwaren stehen für Artikel, mit denen man das erreichen kann, um die Präsentation zu verändern und neue Anreize zu schaffen. Zudem sorgen sie in bestimmten Zeiten für zusätzlichen Umsatz.
Der Trend bei vielen Produkten, etwa Kinderwagen und Babyautositzen, soll zu Multifunktionalität gehen. Registrieren Sie den?
H.B.: Das kann ich nicht bestätigen, aber was ich bestätigen kann, ist, das heute sehr stark auf einfache Bedienbarkeit geachtet wird. Die Möglichkeiten, Fehler beim Handling der Produkte zu machen, werden immer geringer. Zudem gehen die Produkte zunehmend ineinander über. Im Autositzbereich gab es früher einen Bruch zwischen einer Autositzschale und dem folgenden Sitz. Das Kleinkind ist in der Schale erst noch gelegen, bis es dann von einem Tag auf den anderen in Fahrtrichtung saß. Heute müssen Folgesitze auch rückwärts montiert und in eine Liegeposition verstellt werden können. Es gibt für jeden Geschmack und für jede Situation das passende Produkt, die viel cleverer, smarter und funktionaler sind.
Die EK sagt, sie wisse, was Familien wollen. Was sind denn aus Ihrer Sicht die Stärken des Happy Baby-Konzeptes und der EK?
H.B.: In diesem eher entlegenen Winkel Deutschlands brauchen wir Informationen aus der Branche, denn wir können uns nicht immer selbst auf den Weg zu Lieferanten machen. Die EK bündelt die Informationen, die uns weiterbringen können. Was regionale Trends anbelangt, spüren wir die natürlich selber auf, aber ein Überblick über allgemeine Trends kommt von der EK. Durch den Auftritt der Happy Bay Häuser sehen Menschen, die sich über einen Babyausstatter informieren wollen, dass es auch in Wismar ein solches Geschäft in diesem Bereich gibt. Auch wenn wir, wie Sie sagten, alte Hasen sind, kannte uns in Wismar keiner. Das muss kein Nachteil sein, aber die Marke Happy Baby bietet eine gewisse Ausstrahlung und steht für Kompetenz.
Spielzeughändler zeigen sich oft „not amused“, wenn Sie sehen, dass immer mehr Marken auf Amazon mit eigenen Stores ihre Produkte oft unter UVP präsentieren. Macht Ihnen diese Entwicklung als Babyausstatter ebenfalls zu schaffen?
H.B.: Diesen Trend gibt es im Babybereich seit Langem. Er ist legitim. Unfair wird es, wenn Hersteller mit anderen Preisen arbeiten, was sie prinzipiell ja auch können, weil sie eben Hersteller dieser Produkte sind. Bieten sie ihre Produkte zu regulären UVPs an, haben wir keine Schwierigkeiten damit. Der Handel muss in der Lage sein, einen Mehrwert zu erzeugen, sonst wird er nicht überleben können. Er muss den Herstellern zeigen, zu was er fähig ist. Wenn der Kunde mit dem Handel nachhaltig zufrieden ist, lohnt es sich für den Hersteller auch. Sagt der Handel nur, wir sind doch hier, wird das am Ende nicht reichen.
Auf der Messe Kind & Jugend 2023 war zu erfahren, dass der SecondnandMarkt eine immer größere Rolle spielt. Ist dem so?
H.B.: Absolut und er wird stärker, was man auch in Wismar beobachten kann. Meine Einschätzung: Der Online-Handel hat schon stattgefunden, jetzt kommt der Secondhand-Markt. Persönlich finde ich das eine gute Ergänzung zu einem Fachgeschäft und ich selbst kann damit gut leben, weil es auch nichts machen würde, wenn ich für ein Neugeborenes eine Ausstattung bräuchte. Das eine oder andere würde ich also auch gebraucht kaufen. Dennoch sieht ja jeder jedes Produkt anders. Der eine kauft lieber einen Kinderwagen neu, der andere lieber Bekleidung. Um etwas secondhand kaufen zu können, muss es auch vorher von irgendjemandem neu gekauft worden sein.
Klingt, als wäre der Secondhand-Markt eine Option, mit der Sie Ihre ursprüngliche Geschäftsidee erweitern könnten?
H.B.: Jedenfalls eher als der Online-Handel.
Was steht für 2024 an, damit das eintritt, was Sie sich sicherlich bei der Geschäftseröffnung als Ziel gesetzt haben: gekommen, um zu bleiben!?
H.B.: In erster Linie müssen wir daran arbeiten, uns einen ausreichend großen Kundenstamm zu erarbeiten. Das ist prioritär. Gleichzeitig wollen wir eine gewisse Anziehungskraft für Touristen entwickeln.
Herr Bauer, wir bedanken uns für das Gespräch.