China-Express im Eiltempo

29.12.2025

Verwaiste Läden und Onlinehandel setzen Innenstädte unter Druck.
In Bochum zeigt sich: Mit Förderung lassen sich inhabergeführte Geschäfte zurückholen. Ulrich Texter sprach darüber mit Innenstadtmanager Jürgen Knoth und Händler Matthias Martens („Brummbär“).
Planet Toys Gefühlt. Gekauft. Geschenkt.

Herr Knoth, Herr Martens, Bochum wie das gesamte Ruhrgebiet durchlebt seit vielen Jahren einen Strukturwandel. Was ist heute der Markenkern Bochums, wenn es nicht mehr Industrie und Fußball ist?

Jürgen Knoth: Der Markenkern einer Großstadt wie Bochum mit seinen 370.000 Einwohner ist natürlich sehr vielfältig, aber Bochum hat bereits 2017 mit „Bochum 2030 Innenstadt“ eine Vision formuliert, nach der wir arbeiten. Zu den fünf Zielen zählt u. a. Live-Kultur als ein Hotspot. Mit dem Festival Bochum Total und mit dem Bermudadreieck verfügt die Stadt heute über eines der umsatzstärksten Kneipenviertel Deutschlands. Generell entwickelt sich die Stadt aber von einem produzierenden zu einem Wissensstandort. Allein die Ruhr-Universität Bochum zählt 41.000 Studenten. Das MARK 51°7 ist ein Leuchtturmprojekt mit starkem Unternehmensnetzwerk.

Matthias Martens: Für mich sind es die Menschen, die zwar sehr direkt, aber freundlich sind. Ich bin jetzt über 30 Jahre mit dem Brummbären hier und ich habe nur positive Erfahrungen gemacht.

In den letzten 200 Jahren prägte vor allem der Handel das Gesicht der Stadt. Der steckt mehr oder weniger in der Krise. Der HDE prognostiziert, dass in diesem Jahr 4.500 Geschäfte schließen. Wie hart trifft es Ihre Stadt?

J.K.: Der trifft Bochum im Bereich der Filialisten auch, nur konnten wir durch Akquise, gute Gespräche mit den Vermietern und auch den Förderprogrammen die kompensieren. Weder Corona noch der rückläufige Einzelhandelsmarkt haben uns getroffen. Die Stadt hat über 900 Ladenlokale. Vor Corona standen 84 leer, jetzt sind es noch 52. Das ist eine Leerstandsquote um die 5 %. Die war früher höher.

Warum braucht die Stadt dann Sie, wenn der Bochumer Einzelhandel so gut aufgestellt ist?

J.K.: Die Frage ist berechtigt. Als ich vor 6,5 Jahren hier anfing, gab es eigentlich weniger Bedarf für diese Position, da sich der Markt zwischen Mieter und Vermieter selbst regelte. Das ist heute anders. Unsere Aufgabe ist es, zwischen den Eigentümern von Immobilien, den ganz wichtigen Playern, und dem Handel, den Dienstleistern und der Gastronomie als potenzielle Mieter zu vermitteln. Geht ein Mieter auf einen Vermieter zu und sagt, er kann nur noch 70 % der Altmiete zahlen, bekommt er das Ladenlokal selten. Kommen wir und sagen einem Vermieter mit leerstehender Immobilie, dass wir ihm bis zu zwei Jahren 70 % der Altmiete garantieren, sieht die Sache anders aus. Sehr viele Eigentümer in Bochum haben da mitgespielt. Die Mieten sind von 120 € auf teilweise 35 oder 40 € gesenkt worden. Die Mieten wurden teilweise um 30 % bis 40 % gesenkt.

Der Einzelhandel verliert dennoch für Innenstädte an Bedeutung. Nicht ohne Grund dürfte sich Bochum die Vision Innenstadt 2030 gegeben haben. Und doch glauben Sie an die alte Struktur?

J.K.: Nein die alte Struktur, eine attraktive Innenstadt nur mit Handel zu betreiben, funktioniert nicht mehr. Der Kunde sucht neben einem guten EH-Branchenmix weitere Inhalte wie Aufenthaltsqualität, gerade auch für Familien und Senioren, Gastronomie und Veranstaltungen. Bochum kämpfte schon vor 60 Jahren mit einem starken Wettbewerb an der Peripherie wie dem zweitältesten Einkaufszentrum Deutschlands, dem Ruhrpark, sowie mit anderen Städten, daher war in der Innenstadt die Dichte von Filialisten nie so ausgeprägt wie in anderen Großstädten. Hier schloss auch kein Galeria Kaufhof. Kunden, die haptisch was anfassen, die beraten werden wollen, die kommen weiter nach Bochum. Meine Prognose ist, dass wir in Bochum auch in den nächsten Jahren keine sinkenden Umsätze im Einzelhandel haben, eher steigende.

Bei einer von Bochum vor zwei Jahren in Auftrag gegebenen Umfrage zur Qualität der Innenstadt brach eine Diskussion los. Bochum sei nur noch ein Schatten der Vergangenheit. Was stimmt jetzt?

J.K.: Schatten der Vergangenheit ist übertrieben! Das ist eine Frage der Wahrnehmung. Ältere Bochumer führen die tollen 80er- und 90er-Jahre an, als es hier vier Werbegemeinschaften gab, die die großen Kundenströmen für ihr Quartier genutzt haben. Das ist Geschichte. Die Frequenzen haben wir wie auch viele andere Stadt nicht mehr. Heute müssen wir bei Frequenzen differenzieren. Habe ich nur Guck-Frequenz oder ziehen wir mit qualitativ guten, inhabergeführten Läden, die am besten nicht auswechselbar sind und die Sie in keinem Center finden, Kunden an? Einen Brummbären finden Sie nicht in einem Center.

Innenstädte sind das emotionale Herz der Stadt …

J.K.: Genau, das hat man bei Corona sehr stark gemerkt, als die Menschen nicht mehr rauskonnten.

… aber das Herz leidet gerade, sonst bräuchte Bochum Sie nicht und der Brummbär wiederum Sie nicht oder?

J.K.: Unsere Aufgabe ist es, die Attraktivität und Aufenthaltsqualität in der Innenstadt zu erhöhen, damit auch Familien gerne in die Stadt kommen und dort auch einkaufen. Wir haben einen Kernbereich definiert, der für uns das pulsierende Herz Bochums sein soll. Nur in diesem Bereich wird über das Vermieterprogramm gefördert, ausschließlich inhabergeführte Geschäfte. Wir waren überrascht, wie viele Menschen mit einer guten Geschäftsidee gesagt haben, wenn sie zwei Jahre bis zu 80 % der Miete sparen, würden sie das testen.

Wie haben Sie die Händler ausgesucht?

J.K.: Es gibt genaue Regularien. Besonders wichtig sind die Idee und das Konzept, das wir auch teilweise auf Wirtschaftlichkeit prüfen. Ist es aus unserer Sicht vielversprechend, schließen wir anschließend den Mietvertrag mit dem Eigentümer ab, der somit die Sicherheit von garantierten Mieteinnahmen hat. Ebenso wichtig ist, ob sich Vermieter und Mieter auch nach der Förderphase verstehen, wenn der Mieter vielleicht nur noch 70 % der Miete zahlen kann.

Wie viele sind noch am Netz?

J.K.: Bei 24 Geschäften wurden direkt im Anschluss der Förderphase Mietverträge zwischen dem Vermieter und Mieter geschlossen, was aus meiner Sicht durchaus als Erfolg bewertet werden kann.

Den Brummbären gibt es bereits 33 Jahre in Bochum. Warum kommt ein längst etabliertes Spielwarengeschäft in den Genuss öffentlicher Fördergelder?

J.K.: Das aktuelle Förderprogramm zielt da­rauf ab, zukunftsfähige Innenstädte und Ortszentren zu schaffen. Das bedeutet u. a. auch, den Einzelhandel auf Kernbereiche zu konzentrieren. Händler, die in einer schwachen Lage sitzen, können durch eine Anschubfinanzierung in eine deutliche bessere Lage wechseln.

Die Subventionierung des Einzelhandels kann eigentlich nicht Daueraufgabe einer Stadt sein. Der Geschäftsführer Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland e. V. schrieb, dass es „nicht in dem erforderlichen Maße gelungen ist, die Innenstädte jenseits der zeitlich befristeten Förderprogramme und einzelner Förderprojekte nachhaltig umzugestalten und eine neue Perspektive für sie zu entwickeln“.

J.K.: Sie können damit natürlich keine Innenstadt retten, mit keinem Geld der Welt, aber Sie haben die Möglichkeit, punktuell zu fördern, gerade im Bereich der Standortverlagerungen, die ich für extrem wichtig halte. Und natürlich können Sie nicht alles fördern. Wenn ein Unternehmen wie der Brummbär, der über 30 Jahre erfolgreich am Markt war, jetzt überlegt, ob es noch eine Zukunft hat, dann muss analysiert werden, was das für Gründe hat. Wenn es die Lage ist, die problematisch ist, aber Beratung und Produkte stimmen, können wir helfen. Die Mieten und die wegbrechenden Erträge durch die Vergleichbarkeit im Internet sind die größten Probleme für den Einzelhandel.

Herr Martens, wer nach der Zukunft der Innenstadt fragt, fragt auch nach der Zukunft des Einkaufens. Haben Sie jetzt mit Förderprogramm eine Zukunft?

Matthias Martens: Ja, das kann ich eindeutig sagen, auch wenn ich nach wenigen Monaten noch keine abschließende Prognose abzugeben vermag, weil dafür noch das wichtige Weihnachtsgeschäft fehlt. Ich bin aktuell aber ziemlich zuversichtlich.

Als Spielwareneinzelhändler, der seit 33 Jahren im Geschäft ist, denken Sie vermutlich auch darüber nach, ob Sie a) langsam in Richtung Nachfolgeregelung gehen, b) schließen, weil die Rahmenbedingungen nicht stimmen, oder c) noch einmal angreifen. Was hat Sie bewogen, einen Neustart zu riskieren?

M.M.: Es sind genau die Punkte, die Sie angesprochen haben. Das Thema Nachfolgeregelung wird zunehmend wichtiger, aber hätte ich einen Nachfolger für den alten Standort finden müssen, der auch noch Geld dafür bezahlt, wäre das fast aussichtslos gewesen. Die Alternative wäre gewesen, entweder mehr schlecht als recht weiterzuwursteln, oder das Geschäft ohne irgendeinen Mehrwert, den ich da hätte rausziehen können, zu schließen. Das hätte gefühlsmäßig bedeutet, dass ich 30 Jahre meiner Lebensarbeitszeit quasi verschenkt hätte. Das war für mich unvorstellbar.

Und das Förderprogramm der Stadt kam da wie gerufen?

M.M.: Theoretisch hätte ich mich auch selbst um eine Alternative bemühen können, aber das ist heute fast aussichtslos. Man kommt mit den Immobilieneigentümern so gut wie nicht ins Gespräch.

Sind Sie auf die Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft zugegangen oder umgekehrt?

M.M.: Von dem Programm hatte ich zwar gehört, aber ich muss gestehen, dass ich da jetzt nicht aktiv geworden bin. Angerufen hat mich Jürgen Knoth. Im November 2023 haben wir das erste Gespräch geführt. Danach habe ich mich ernsthaft mit dem Thema beschäftigt.

Wie war die Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsentwicklung?

M.M.: Nach dem ersten Austausch haben wir geprüft, ob die in Frage kommende Immobilie überhaupt interessant sein könnte. Das grundsätzliche Interesse bestand. Im zweiten Step wurde über Geld gesprochen.

Und die Vorschläge waren akzeptabel?

M.M.: In den Gesprächen waren wir uns erstaunlich schnell einig. Zudem gibt es in dem Anschlussmietvertrag einen Passus, der es einem ermöglicht, wieder auszusteigen, wenn man sieht, dass man sich den Standort doch nicht leisten kann. Das kalkuliert man aber nicht mit ein. Man darf trotz der Förderung nicht vergessen, dass man eine immense Summe in einen neuen Standort investiert.

Die zentrale Kortumstraße verführt zum Bummeln, heißt es. Haben Sie Ihr Sortiment umgekrempelt, um auch die Bummler anzulocken?

M.M.: Schon am alten Standort war es das Ziel, stärker die Laufkunden anzusprechen, denn je konkreter der Kunde weiß, was er oder die Kinder sich wünschen, desto größer ist die Affinität zum Onlinekauf. Wir setzen deshalb mehr auf Sortimente, die Menschen ins Geschäft ziehen, um sich inspirieren und überraschen zu lassen. Insofern haben wir gar nicht so viel verändert, aber es krankte eben an Laufkunden am alten Standort. In dieser guten Lage wollen wir jetzt genau die Leute abgreifen, die Lust auf besondere Ladenkonzepte haben. Neben der Förderung war das ausschlaggebend. Mit dem Onlinehandel werden wir nicht konkurrieren können.

Das richtige Sortiment wird also noch wichtiger?

M.M.: Definitiv und das sind auch die Erfahrungen der ersten Monate. Man sieht, auf was die Kunden anspringen, muss aber auch feststellen, dass so manche schwächelnde klassische Basic-Firma, die mal zum Kernsortiment zählte, auch in der neuen Lage schwächelt.

Würden Sie das Abenteuer noch einmal eingehen?

M.M.: In den über 30 Jahren habe ich noch nie ein so anspruchsvolles Projekt umgesetzt. Rückblickend würde ich sagen, wie konntest du nur. In dieser Größenordnung vermutlich nicht mehr, aber heute bin ich mit dem Brummbären in dieser Form sehr zufrieden, sodass ich sagen kann, ich kann einigermaßen beruhigt in die Zukunft schauen. Wenn das nicht funktioniert, brauche ich nichts anderes mehr probieren.

Braucht der Einzelhandel also mehr politische Unterstützung, um zukunftsfähig zu bleiben?

M.M.: Ja, aber nicht nach dem Gießkannenprinzip. Wenn die zur Verfügung stehenden Mittel von klugen Köpfen gezielt eingesetzt werden, haben Stadt, Immobilieneigentümer und der Einzelhandel etwas davon. Die Förderung wird wieder indirekt durch Gewerbesteuer zurückgezahlt und der Vermieter profitiert wiederum von uns.

Herr Knoth, Herr Martens, wir bedanken uns für das Gespräch.