„Hart“ am Kunden

Herr Hintemann, Sie sind seit bald vier Jahrzehnten im Geschäft. Seit 1989 gibt es Mythos am heutigen Standort in Lüneburg. Was macht den Mythos aus?
Frank Hintemann: Ich glaube, die persönliche Beratung macht wirklich unseren Markenkern aus. Die Kunden suchen einfach den Kontakt zu uns, weil sie genau wissen, dass wir sie kennen, und weil wir sie kennen, können wir ihnen auch Empfehlungen für Spiele geben, die etwas komplett Neues darstellen, aber wo die Kunden sicher sein können, dass sie ihnen gefallen könnten. Natürlich spielt auch die Ware eine Rolle, aber da ist es immer wieder unsere Aufgabe, genau den Geschmack unserer Kunden zu treffen.
Mythos Buch & Spiel lebt also von einem festen Kundenstamm?
F. H.: Nein, nicht nur. Unser Naheinzugsgebiet beträgt mindestens 50 km, aber 40 % der Kunden stammen von außerhalb dieses Einzugsgebietes. Wir gewinnen eigentlich jeden Tag Kunden dazu, gerade jetzt in der Urlaubszeit. Manchmal bedanken sich Kunden bei uns für die tolle Beratung und verabschieden sich mit dem Gruß, dass man sich im nächsten Jahr wiedersehe. Das stimmt uns zuversichtlich. Inzwischen tauchen Kunden auf, die hier schon als Kind ihr erstes Spiel gekauft haben und jetzt mit ihren Kindern zurückkehren.
Ist die Konzentration auf zwei Nischen Ihr Erfolgsrezept?
F. H.: Das ist ein Aspekt, weil es ja mit einer absoluten Nische losging. Zwischendrin haben wir uns ein wenig breiter aufgestellt, aber uns vor fünf oder sechs Jahren wieder sehr stark auf das ursprüngliche Sortiment konzentriert. Der Schritt war richtig, denn das ist genau das, was die Kunden von uns wollten.
Aus dem Online-Geschäft haben Sie sich verabschiedet. Warum?
F. H.: Online werden nur Rosinen gepickt, die man sonst nirgends bekommt. Oder bei Amazon oder Ebay so billig verkauft werden, dass ich mit den Preisen genauso weit runter müsste, um überhaupt was zu verkaufen, was aus betriebswirtschaftlicher Perspektive überhaupt keinen Sinn ergibt. Wir konzentrieren uns lieber auf die Kunden, die uns sofort Feedback geben. Außerdem hat man im Online-Geschäft keine Stammkunden. Man gewinnt dort nur Kunden, die ein Produkt günstig haben wollen. Die sind sofort weg, sobald der nächste Billiganbieter kommt. Stammkunden gewinnt man online nicht, das habe ich gelernt.
Im Handel wird gerne über große Verlage geklagt, ihren Vertrieb, deren Margen etc. Was ist dran an dem Lamento?
F. H.: Bei mir stehen nicht die Verlage im Fokus, sondern einzelne Titel. Ein Titel muss vom Spielwert her gut sein, er muss Spaß machen, etwas Originelles und Besonderes bieten. Vor allem aber muss ich die Kunden dafür kennen, die das haben wollen, und es muss natürlich eine Marge aufweisen, mit der ich leben kann. Natürlich ist es so, dass bei den großen Verlagen nicht viel abfällt, und es sind auch nur wenige Titel, die es in unser Sortiment schaffen. Auf manche Titel kann man nicht verzichten, aber die muss man ja nicht unbedingt empfehlen.
Gesellschaftsspiele erlebten einen beispiellosen Aufstieg in den letzten zwei Jahrzehnten. Games & Puzzles zählen zur wichtigsten Warengruppe im Spielwarenmarkt. Können Sie sich das erklären? Sind sie das Sedativum für die Herausforderungen des technischen Fortschritts?
F. H.: (lacht) Es liegt wohl einfach daran, dass es uns gelungen ist, den Erwachsenenmarkt für Spiele aufzubauen. Als wir anfingen, steckte der noch in den Kinderschuhen. Es gab nur ganz wenige Spiele, die wirklich für Erwachsene interessant waren. Erst so langsam kamen die auf den Markt. Spätestens mit den Siedlern von Catan, ein Spiel, das leicht zugänglich war und die breite Masse ansprach, kam so richtig der Durchbruch. Auch Erwachsene sagten bei Catan, dass sie es gerne spielen. Ging man vorher in ein Kaufhaus und fragte nach einem Spiel, war die erste Frage des Verkäufers: Wie alt ist denn das Kind? Man musste sich fast ein wenig schämen, wenn man 30 Jahre sagte.
Spiele sind also zum Hobby geworden?
F. H.: Definitiv, die meisten Kunden, die zu uns kommen, sind jenseits der 30.
Während die Zahl der Buchkäufer seit Jahren zurückgeht, brummt das Geschäft mit Spielen. Was hat „e-mission“, was ein Robert Seethaler nicht hat? Spiele und Bücher entführen uns doch beide in eine abgeschlossene, temporäre Welt mit eigener Tendenz, wie Johan Huizinga sagte.
F. H.: Der Grund ist, dass wir gemeinsam an einem Tisch sitzen, gemeinsam Dinge in der Hand haben, uns direkt in die Augen schauen können. Das ist, glaube ich, das ganze Geheimnis und auch der Grund, warum sich Gesellschaftsspiele gegenüber Computerspielen behaupten können. Und im Unterschied zum Buch treten wir bei Spielen eine gemeinsame Reise in eine andere Welt an. Es ist ein Kontrastprogramm zu einer Welt, die augenscheinlich von Individualisierung geprägt ist. Was gibt es Besseres, als gemeinsam etwas zu teilen?
Nach der Pandemie sprach ein Verband von einem Comeback der stationären Spielwarengeschäfte. Nach dem Einbruch 2022 und 2023 zieht das Online-Geschäft jetzt aber wieder an. Was stimmt nun?
F. H.: Beides ist richtig. Die Frage ist, wer wo kauft. Kunden, die schon vorher auf regionalen Einkauf und stationäre Geschäfte gesetzt haben, werden es weiterhin tun. Geht es um Massenware oder austauschbare Produkte, die möglichst billig sein sollen, dann bleibt online die erste Wahl. Das sieht man am Erfolg der chinesischen Billig-Online-Plattformen, die derzeit auf den Markt drängen. Nur weiß ich nicht, ob das so nachhaltig ist. Man hat schon viele große Internethändler kommen und gehen sehen.
Exit-Spiele haben in den letzten Jahren den Markt geprägt. Was sind die aktuellen Trends? Brettspiele mit Story, Schnellspiele, kooperative oder Sammelkartenspiele? Bei Letzteren haben wir ein Comeback von Pokémon erlebt und über Disney Locarna dürfte sich Ravensburger gefreut haben.
F. H.: Die Exit-Spiele haben tatsächlich einen Markt besetzt. Sammelkarten sind aus meiner Sicht im Moment etwas überhitzt, denn Lizenzen sind oft der Anfang des Abstiegs. Das sieht man bei Figurenherstellern. Bei Brettspielen ist es genauso. Nein, zusammen zuspielen, gemeinsame Abenteuer zu erleben und gemeinsam in eine neue Welt abzutauchen, sind die eigentlichen Trends und das zeichnet gute Brettspiele auch aus. Das war bei Exit nicht anders, nämlich kooperativ Fälle lösen.
Uns fielen die vielen neuen Karten- und Stichspiele auf, die in letzter Zeit auf den Markt drängen. Hat das Preisgründe?
F. H.: Nein, das liegt nicht am Preis. Was zählt, ist die Spielidee. Manchmal kommt ein Kunde mit dem Wunsch zu uns, ein großes Spiel kaufen zu wollen, geht aber mit einem kleinen Kartenspiel glücklich raus. Manchmal ist es genau umgekehrt. Entscheidend ist also, welches Spiel für ihn passt. Am Geld hängt es eigentlich nicht, außer vielleicht, dass man es verschenkt. Keiner kommt mit einer festen Budget-Vorstellung zu uns. Der Anspruch von Mythos ist es auch, für den Kunden das Beste rauszufinden. Wir geben uns bei einem Kartenspiel für 10 Euro genauso viel Mühe wie bei einem Spiel von 200 Euro.
Die Branche bietet für jeden Geschmack und jede Gruppengröße etwas, weil sich Spiele mit einem relativ geringen Kostenaufwand herstellen lassen. Nimmt der Druck auf die Verlage zu?
F. H.: Wenn man etwas macht, das alle machen, oder einem Trend folgt, dann vielleicht. Bietet man etwas, das wirklich ein Alleinstellungsmerkmal aufweist, eine neue Spielidee, die wirklich begeistert, dann ist der Preis nicht das Problem. Wenn ich etwas Eigenständiges auf den Markt bringe, was bislang in der Form noch nicht auf dem Markt war, brauche ich keine Vergleiche zu scheuen.
Fachhändler klagen gerne über die Flut der Neuheiten, verlangen aber immer von den Verlagen, dass sie Neuheiten bringen…
F. H.: Viele Online-Händler gehören dazu, weil sie einen Vorverkauf machen.
… und umgekehrt wünschen sich Verlage vom Fachhandel oft, dass man guten Spielideen einen längeren Lebenszyklus im Regal gewährt. Was empfehlen Sie?
F. H.: Grundsätzlich freue ich mich, wenn wir Titel haben, die ein paar Jahrzehnte im Regal stehen, und da haben wir durchaus einige. Prinzipiell würde ich weniger Neuheiten begrüßen und mir dafür wünschen, dass Verlage an Spielen festhalten, wo Substanz dahintersteckt. Ein Spiel wie Catan war damals für Kosmos ein großes Risiko. Viele große Verlage haben es abgelehnt, Kosmos hat daran geglaubt und der Erfolg kam dann ja auch. Auch Spiele, an die wir geglaubt haben, haben sich lange gehalten. Sage ich aber, ich muss jetzt auch ein Spiel auf den Markt bringen, das alle haben, ist es oft nur ein Produkt, das keine neue Spielidee aufweist. Dem Spiel ist dann meistens auch keine lange Lebensdauer beschert.
Mythos ist Mitglied bei Hoher Spielwert, einer Initiative von Fachhändlern, die besondere Spiele scouten. Auf den allermeisten Seiten dieser Händler wird das nicht einmal erwähnt. Was ist bei Ihnen los?
F. H.: Na ja, die Initiative Hoher Spielwert ist noch im Wachsen. Außerdem beschäftigen wir uns eher mit Kunden als mit aufwendigem Marketing, aber die Kunden haben es mittlerweile schon mitgekriegt, weil wir es vor allem in den Läden kommunizieren. Unsere Empfehlungsliste ist ein Anreiz, in unsere Läden zu gehen. Jedes Geschäft verfügt ein Regal mit den empfohlenen Titeln, sodass die Kunden sofort sehen, was es Neues gibt. Wer sich online informiert, ist nicht unbedingt ein Kunde, der stationär kauft; ein Kunde, der hier im Laden steht, ist einer, der nicht hinterher das Spiel im Internet bestellt, sondern es auch hier mitnimmt. Fast jedes Spiel des Jahres war bei uns schon vorher in der Empfehlungsliste.
Herr Hintemann, wir bedanken uns für das Gespräch