Im Würgegriff
Ulrich Texter sprach mit Hildegard Peppinghaus über den Stand der Dinge.
Hildegard Peppinghaus
Frau Peppinghaus, 1994 haben Sie Ihr Geschäft in Münster-Wolbeck gegründet. Die goldenen Jahre des stationären Spielwarenhandels waren da schon vorbei, während der erste Dotcom-Boom vor der Tür stand. Was war damals los mit Ihnen?
Hildegard Peppinghaus: (lacht) Das ist aber jetzt eine ganz schwierige Frage. In Wolbeck gab es damals ein kleines Spielwarengeschäft, das allerdings schloss, während wir die räumlichen Möglichkeiten besaßen, neben unserem Fahrradgeschäft ein weiteres Geschäft zu eröffnen. Die Überlegung war dann, dass Spielwaren doch nett und eine Chance seien. Im Endeffekt bin ich da ganz blauäugig drangegangen.
Einen Business-Plan hatten Sie also nicht?
H.P.: Nein, aber wir kommen aus einer Kaufmannsfamilie. 1985 gründete mein Mann, gelernter Einzelhandelskaufmann und Zweiradmechanikermeister, unser Fahrradgeschäft. Wir waren damals in den Achtzigern wirtschaftlich sehr erfolgreich und wollten investieren. Als junge Mutter denkt man natürlich, Spielwaren, das kann ja nicht so schwierig sein. Im Grunde genommen war es ein Sprung ins kalte Wasser.
Wie ging’s los?
H.P.: Zunächst mit nur 250 m2, also überschaubar. Durch Empfehlungen haben wir uns damals entschieden, Mitglied im Spielzeugring zu werden. Die Vedes war damals noch eine Nummer zu groß für uns. Wir wurden sehr gut beraten und ich habe alle Möglichkeiten wahrgenommen, mich in die Materie einzuarbeiten. Als Mitglied in einer Erfa-Gruppe, später auch die Arbeit in verschiedenen Kommissionen der Vedes.
Wenn Sie auf die 30 Jahre zurückblicken, auf die digitalen Marktplätze, jetzt auch aus Asien, auf das veränderte Kundenverhalten, darauf, dass aus Herstellerpartnern Konkurrenten werden, auf immer schlechter werdende Margen, können Sie heute noch jemandem empfehlen, in dieses Haifischbecken zu springen?
H.P.: Wenn ich ehrlich bin, müsste ich sagen: Nein! Es sind ja nicht nur die von Ihnen aufgeführten Aspekte, die uns Sorgen bereiten, es ist vor allem die Schwierigkeit, gelerntes Personal zu bekommen und zu halten. Work-Life- Balance lässt grü.en. Meine Tochter, die mir bereits seit 18 Jahren zur Seite steht, würde gerne weitermachen. Ihr fehlt aber dann die familiäre Unterstützung. Daher bräuchte sie Personal in verantwortlicher Position an ihrer Seite. Dieses ist in der jetzigen Zeit nicht zu bekommen. Wenn dann noch der Mindestlohn auf Dauer auf 15 Euro ansteigt, den Mindestlohn bekommen meine studentischen Aushilfen, muss ich meinen guten Mitarbeitern Gehälter zahlen, die aber unsere Margen gar nicht hergeben.
Das sind ja keine rosigen Perspektiven.
H.P.: Nein, sind es nicht. Wenn ich irgendwann in den Ruhestand gehe und keinen Nachfolger finde, wäre es schon schade, dass ein so gut etabliertes Unternehmen nicht mehr da wäre. Der Südosten Münsters wächst gerade rasant und wir haben hier eine gute Kaufkraft. Trotzdem ist es wichtig, dass auch unsere Lieferanten weiterhin den stationären Fachhandel unterstützen und nicht nur das schnelle Geschäft im Internet sehen.
Ein Kollege aus Münster sagte vor etwa fünf Jahren, Spielwarengeschäfte seien Dinos, also vom Aussterben bedroht, aber es gäbe Möglichkeiten zu überleben, wenn man sich spezialisiert. Wie lautet Ihr Survival-Rezept?
H.P.: Unser Survival-Rezept heißt, kundennah zu sein, gute Beratung zu bieten, das Sortiment zu pflegen und Services zu bieten. Die Kombination aus Spielwaren und Schule, Ranzen und Schulbedarf, trägt sicherlich auch dazu bei. Die Umsätze zum Schulanfang übertreffen mittlerweile den Novemberumsatz.
Trotz einiger Insolvenzen in der Branche expandieren zwei Spielwarenfilialisten. Erleben wir ein Comeback des stationären Einzelhandels?
H.P.: Da müssen wir unterscheiden. Eltern wollen ihren Kindern den Erlebniseinkauf bieten, denn sie lieben es, durch ein Geschäft zu gehen, Sortimente zu entdecken und direkt zu kaufen. Die Geschenke für die Kinder aber werden lieber abends auf der Couch bestellt. Das stellt uns natürlich vor Probleme. Diese Umsätze, die früher stationär erzielt wurden, werden heute online getätigt. Das merke ich extrem im Weihnachtsgeschäft.
Wie kommt man unterjährig durch? Greift man auf andere Sortimente zurück?
H.P.: Ja, das Schulranzengeschäft hat uns viele Jahre geholfen. Es hat prima funktioniert, auch weil die Lieferanten es schafften, die Preise stabil zu halten. Das funktioniert leider nicht mehr. Bei Preisunterschieden von 60 Euro sagt jeder Kunde, der sich beraten lässt, wir überlegen uns das noch mal, um dann zu Hause im Netz zu bestellen. Der Online-Handel wird auch hier immer stärker. Unsere Strategie war also, mit unterschiedlichen Sortimenten Umsätze zu erzielen, auch Geschenkartikel für Mütter mitanzubieten.
Hieße doch, falls Ihre Tochter übernimmt, dass sie was Neues überlegen muss, oder?
H.P.: Ja, sie wird sich sicherlich neu aufstellen müssen und das hört nicht beim Sortiment auf. Das betrifft auch das Marketing, die Werbung. Mittlerweile erreiche ich mit klassischer Werbung die junge Generation gar nicht mehr. Die VEDES macht einen super Weihnachtskatalog. Flyer kriege ich gar nicht mehr verteilt, weil die bisherige Sonntagszeitung eingestellt wurde. Ich müsste auf die Tageszeitung zurückgreifen, die mich ein Vielfaches kostet, und mit der erreiche ich nur eine ältere Generation, weil die jungen Leute gar keine Tageszeitung mehr haben. Natürlich sind wir auf Facebook und Instagram unterwegs, verschicken einen Newsletter, dennoch bin ich nicht mehr so nah am Kunden wir früher. Muss ich Influencer werden? Vielleicht ist das die Zukunft, aber reicht das?
Deutschlands Wirtschaft kommt nicht recht weg vom Fleck. Die Geburtenrate ist in den Keller gerauscht. Allein mit dem Konsum scheint es etwas aufwärts zu gehen. Wie ist die Lage in Münster-Wolbeck? Lässt der münsterl.ndische Beamte und Landwirt noch Geld im Spielwarengeschäft?
H.P.: Geld wird schon noch ausgegeben für Spielwaren. In der Pandemie haben wir massiv profitiert, im Moment sind andere Branchen am Zuge. Das Geld wird für Freizeitaktivitäten, Kurzurlaube, in Essengehen und solche Dinge ausgegeben, weniger für Spielware. Wir waren verwöhnt in der Pandemie.
Spielwarenhändler monieren seit einer gefühlten Ewigkeit die Vertriebspolitik von Herstellern. Auch Sie haben das Preisdumping vor Jahren moniert. Getan hat sich nichts, oder?
H.P.: Die Industrie lässt uns wirklich im Stich, vor allem Lieferanten wie Hasbro und Mattel, wenn man mit ihnen nicht bestimmte Umsätze erzielt. Ich muss also auf den Großhandel der Vedes zurückgreifen, der zwar einen sehr guten Job macht, aber mir leider nicht die erforderlichen Margen bieten kann. Schleich und Playmobil sind weitere Beispiele. Zum Glück haben wir noch Lieferanten, die hinter uns stehen.
Von 2016 bis 2022 waren Sie Mitglied im VEDES- Aufsichtsrat, Europas größter Dienstleistungsplattform für Spielwaren. Könnten die Nürnberger, die selbst sagen, in puncto Partnerschaftlichkeit hebt sich kein Lieferant besonders hervor, nicht mehr Zähne zeigen?
H.P.: Das wäre zu wünschen. Da muss, glaube ich, wesentlich mehr Druck entstehen. Beispiel Marketing. Wir haben einen wunderschönen Weihnachtskatalog. Die Vedes-Geschäfte verteilen ihn über die Ladentheke, die Kunden sind begeistert, aber was ist das Resultat? Wir machen Werbung für die Hersteller. Der Kunde kommt nicht unbedingt zurück, sondern bestellt die Ware im Internet. Daher müsste die Vedes uns diesen Katalog, bezahlt durch die Industrie, kostenlos zur Verfügung stellen. Ansonsten bietet uns die Vedes ein sehr umfangreiches Portfolio an Dienstleistungen, die wir sonst nirgendwo bekommen.
Ein Händler wünscht sich sogar, dass Hersteller, die Marketplace-Teilnehmer sind, bei den Verbänden und den Geschäften ausgelistet werden. Was sagen Sie?
H.P.: Einige meiner Kollegen werfen ganz strikt Hersteller aus ihrem Sortiment, weil die Marge zu gering ist. Mein Standpunkt ist, dass ich sie trotzdem dem Kunden zeigen muss, damit er überhaupt kommt. Ich muss die Hersteller ja nicht in epischer Breite führen.
Wäre eine klare Botschaft eventuell nicht zielführender?
H.P.: Vielleicht, und ich muss auch eingestehen, dass ich selber schon mal darüber nachgedacht habe, mich nicht mehr wie ein traditionelles Spielwarengeschäft aufzustellen. Wir sind aber alle so unterschiedlich, dass man da nur schwer einen Weg finden kann. Ein Franchise- Unternehmen hat es leichter. Da heißt es: Das führt ihr und ein kleines Randsortiment könnt ihr frei wählen. Manche Unternehmen versuchen, Adressen zu sammeln, um den Kunden immer wieder irgendwelche Angebote anzubieten. Ob das der richtige Weg ist, weiß ich nicht. Meine Auffassung ist, dass sie im Moment ein wenig zu egoistisch denken. Wenn der Fachhandel ausstirbt, werden die Produkte nicht mehr gesehen. Vielleicht noch in Drogerien, an Tankstellen, aber nicht mehr das ganze Sortiment. Die Lieferanten sägen am Ast, auf dem sie sitzen. Ravensburger z. B. hat ein so breites Sortiment, das wir hier präsentieren. Wenn das nicht mehr gesehen wird, was kauft der Kunde dann noch? Die Empfehlungen bei Amazon: Das könnte dir auch gefallen!?
Gibt es denn noch Partner?
H.P.: Ja, die gibt es noch. Moses und Coppenrath zählen dazu, obwohl sie bei Thalia groß vertreten sind, trotzdem wissen sie genau, was sie an uns haben.
Das Geschäft mit Spielwaren, haben Sie vor Jahren gesagt, sei schnelllebiger geworden. Wie schnell ist es heute?
H.P.: Die Neuheitenwellen kommen viel häufiger, und es hat noch mehr Tempo durch die ganzen Influencer erreicht. Man muss wirklich immer schauen, was gerade angesagt ist. Im Moment der Moonball. Dann wollen plötzlich alle diesen Ball. Man muss buchstäblich schnell am Ball sein, aber auch den richtigen Zeitpunkt erwischen, um wieder auszusteigen.
Welche Rolle spielen in diesem Beschleunigungswettbewerb Lizenzthemen? Der Anteil lizenzierter Spielwaren am Gesamtmarkt ist in den letzten Jahren gestiegen.
H.P.: Im Kleinkindbereich sehe ich Lizenzen nicht als wichtig an. Diese Kinder verstehen das noch nicht. Ab einem Alter ab 3 Jahren, wenn Kinder Fernsehen schauen dürfen, etwa Paw Patrol, eine Lizenz die wahnsinnig gut läuft, oder Feuerwehrmann Sam, wird es interessant. Kinder wollen das, was sie im Fernsehen sehen, nachspielen, was ich natürlich verstehe. Es gibt also einen gravierenden Unterschied zu früher. Das Spielzeug griff Themen wie Polizei, Feuerwehr, Pferde usw. auf, ob das nun bei Lego oder Playmobil war. Der Spielwert spielte eine große Rolle.
Was muss eine Lizenz leisten oder welchen Mehrwert bieten, damit Sie zugreifen?
H.P.: Damit eine Lizenz funktioniert, ist es wichtig, dass die Qualität, die Spielware an sich gut ist. Es gibt auch schnell gestrickte Lizenzen, die diesen Anspruch nicht erfüllen, aber trotzdem gekauft werden. Dann schlagen wir uns mit Reklamationen rum und der Kunde ist enttäuscht.
Welche Lizenz ist bei Ihnen ein Longseller?
H.P.: Pokémon ist ein Longseller, Paw Patrol, Spiderman ist ein gutes Thema, Spidey für die Kleineren, das sind im Moment die wichtigsten, Star Wars für die Älteren.
Und was läuft derzeit gut im Sortiment?
H.P.: Das ganze Thema Fußball, ob Sammelkarten oder -bilder, Bälle, Tore und Bücher. Die Vorfreude auf die EM ist groß. Weiterhin läuft der Outdoor-Bereich sehr gut, vor allem Scooter. Legami ist ein weiterer Hype. Die Stifte werden uns geradezu aus der Hand gerissen. Die Blumengeschichte von Lego ist stark, aber Lego ist nicht mehr unbedingt unser Partner. Die Grenze für die Direktbetreuung liegt jetzt bei 100.000 Euro. Wenn ich da drunter liege, muss ich alles selber machen, habe keinen Ansprechpartner mehr, mit dem ich zusammen Aktionen überlegen kann. Das vermisse ich. Man hat das Gefühl, dass mit den ganzen Vorgaben geknebelt wird. Und ihre Exklusivprodukte zählen auch nicht zu den vertrauensbildenden Maßnahmen.
Frau Peppinghaus, wir bedanken uns für das Gespräch.