KI im Spielzeug – Standort­frage Made in Germany

9.06.2025

Ob Deutschland im globalen Wettbewerb um künstliche Intelligenz mithalten kann, entscheidet sich nicht nur in Rechenzentren – sondern in Branchen wie der Spielwarenindustrie, die zunehmend auf smarte Produkte und digitale Prozesse angewiesen sind.

Planet Toys Gefühlt. Gekauft. Geschenkt.

Noch vor wenigen Jahren war künstliche Intelligenz ein Nischenthema in der Spielwarenbranche – etwas für Visionäre oder große Technologiekonzerne. Heute, im Frühjahr 2025, steht sie mitten im Kinderzimmer. Interaktive Lernroboter, sprechende Kuscheltiere und KI-gestützte Baukastensysteme sind Realität. Was dabei oft übersehen wird: Solche Produkte sind nicht nur eine Frage von Design und Innovation. Sie sind Ausdruck geopolitischer Kräfteverschiebungen, regulatorischer Ambitionen und infrastruktureller Engpässe. Und sie hängen maßgeblich vom Standort ab, an dem sie entwickelt, trainiert, getestet – und verantwortet – werden. Noch ist die Spielwarenbranche auch geprägt von Holz, Haptik und handfesten Klassikern. Doch parallel dazu wächst weltweit ein Zweig heran, der sich nur mit Rechenleistung, Datenverfügbarkeit und algorithmischem Denken entfalten kann: KI-gestützte Produkte, Prozesse und Spielerlebnisse. Smarte Bausteine, adaptive Lernsysteme, sprechende Figuren – was vor wenigen Jahren als Experiment galt, ist heute für einige Unternehmen gelebte Praxis. Und dabei zeigt sich: Ob diese Innovationen in Europa entwickelt werden können, hängt nicht nur vom Mut der Entwickler ab, sondern auch davon, wo sie sitzen.

Denn Deutschland hat, Stand Frühjahr 2025, ein Infrastrukturproblem. Während die USA und China neue KI-Gigafabriken bauen, Exascale-Systeme hochfahren und Cloud-Kapazitäten skalieren, ringt Europa um Anschluss. Zwar entstehen mit Projekten wie GAIA-X und IPCEI-CIS Alternativen zu den dominanten US-Plattformen. Doch im Alltag vieler Mittelständler herrscht Abhängigkeit: von Cloud-Anbietern, von KI-APIs, von Zulieferern für Chips und Rechenzeit. Wer heute ein vernetztes Spielzeug entwickelt oder maschinelles Lernen im Sortiment einsetzen will, braucht nicht nur Ideen, sondern Zugang zu einer technischen Basis, die oft außerhalb Europas liegt. Die neue Bundesregierung will diese Lücke schließen – mit einer „KI-Offensive“, die unter anderem 100.000 GPUs für Forschung und Entwicklung bereitstellen soll. AI-Gigafactory, Rechenzentrumsverbünde, KI-Spitzenzentren und Investitionen in branchenspezifische Sprachmodelle klingen ambitioniert – und sind es. Doch im internationalen Vergleich bleiben sie ein Einstieg: OpenAI allein verfügt geschätzt über eine Million GPUs, während US-Tech-Konzerne wie Microsoft exklusive Stromverträge für eigene Rechenzentren abschließen. Deutschland ist nicht zu spät – aber die Zeit läuft. Denn vielleicht entscheidet sich die Frage, ob KI „made in Germany“ eine Zukunft hat, nicht zuerst in den Rechenzentren – sondern genau dort, wo Spielzeug entsteht.

Gleichzeitig verschärfen geopolitische Entwicklungen den Druck. Strafzölle, Regulierungen, Lieferkettenkonflikte – all das trifft auch eine Branche, die traditionell stark exportorientiert ist. Viele Spielwarenhersteller erleben gerade, wie stark ihre digitale Handlungsfähigkeit von politischen Rahmenbedingungen beeinflusst wird. Wer auf US-Plattformen aufbaut, muss mit Ausfällen oder Lizenzänderungen rechnen. Wer mit chinesischen Komponenten arbeitet, muss mit neuen Exportauflagen kalkulieren. Kurz: Digitale Ambitionen lassen sich nicht mehr losgelöst von Standortfragen betrachten.

Dabei ist KI im Spielwarenbereich längst keine Theorie mehr. Von der trendbasierten Produktentwicklung über personalisierte Empfehlungen im E-Commerce bis hin zu interaktiven Robotern für Bildung und Inklusion – es gibt zahlreiche Anwendungsfelder, in denen künstliche Intelligenz heute bereits zum Einsatz kommt. Unternehmen wie LEGO (Dänemark), fischertechnik (Deutschland), Ravensburger (Deutschland) setzen KI bereits an verschiedenen Stellen der Wertschöpfungskette ein. Doch die Geschwindigkeit, mit der sich diese Produkte realisieren lassen, hängt auch davon ab, wie schnell Daten verarbeitet, Modelle trainiert und Teams aufgebaut werden können. Hier liegen durchaus Engpässe. Denn neben der technischen Infrastruktur fehlt es oft auch an Fachkräften – und an unternehmerischer Erfahrung mit KI-Projekten. Laut aktuellen Studien verfügen knapp 80 Prozent der Unternehmen im Mittelstand nicht über das notwendige Know-how, um KI intern zu entwickeln oder sinnvoll einzusetzen. Die Spielwarenindustrie ist davon nicht ausgenommen. In einer Branche, in der Kreativität und Pädagogik traditionell eine größere Rolle spielten als Datenmodelle, ist der Sprung ins Digitale anspruchsvoll – aber notwendig.

Was geplant ist – und was fehlt. Der Koalitionsvertrag setzt viele richtige Akzente: Mehr Rechenzentren, KI-Reallabore, Förderung des Transfers in neue Geschäftsmodelle. Ein klares Bekenntnis zur bürokratiefreien Umsetzung des EU AI Acts macht Hoffnung. Doch gleichzeitig fehlen entscheidende Punkte: Ein schnelleres Visa-Programm für KI-Talente, steuerliche Superabschreibungen für Unternehmen, der garantierte Zugang zu günstiger Energie für KI-Rechenzentren – und eine proaktive Open-Data-Strategie, die europäische Sprachmodelle überhaupt erst möglich macht. Auch der Aufbau eigener KI-Hardwareproduktion bleibt bislang vage. Das bedeutet nicht, dass jedes Spielzeug künftig KI enthalten muss. Es bedeutet auch nicht, dass analoge Spielkonzepte überholt wären. Aber es heißt, dass diejenigen Unternehmen, die Innovation aktiv gestalten wollen – sei es im Produkt, in der Produktion oder im Vertrieb – sich mit den realen Bedingungen auseinandersetzen müssen: Wo liegt meine Rechenleistung? Wer trainiert mein Modell? Wie schütze ich meine Daten? Und: Was kann ich noch selbst gestalten – und was liegt längst außerhalb meiner Kontrolle?

Denn KI im Kinderzimmer ist kein Spiel. Es ist ein Standorttest. Für Technologie. Für Verantwortung. Für Europa. Und für Deutschland.

Patricia Winkler

CEO von aivory, unterstützt Unternehmen mit dem „KI-Führerschein“ und Coachings bei der nachhaltigen Integration von KI. Mehr unter:
aivory.club