Neue Dynamik beim Struktur­wandel

21.08.2025

Mit ausgefeilten Expansionsstrategien hat Thalia den Buchhandel umgekrempelt. Diesen bewährten Mustern folgt der Konzern nun auch bei seinem Engagement in der Spielwarenbranche. Vorangetrieben wird auch hier eine Neuordnung der Anbieterstruktur.

Von Tassilo Zimmermann

Ein Aushang mit dem Schriftzug "Nachfolger gesucht" in einem Schaufenster eines Ladens

Der Einstieg des Buchhandelskonzerns Thalia in den Spielwarenhandel ist kein Nebenschauplatz, der sich eben mal so den Verantwortlichen eröffnet hat. Ihnen geht es offenkundig vielmehr um die Bereinigung und die Konsolidierung eines einst dominierenden Vertriebskanals, dem Fachhandel.

Eigene Spielwarensparte

Welche Dynamik hinter dieser Strategie steckt, hat sich in den vergangenen Wochen deutlich gezeigt. Mit der kompletten Übernahme der bisherigen Geschäftsaktivitäten der beiden Krömer-Brüder Christian und Daniel vergrößert Thalia zum 1. Oktober 2025 das Netz seiner eigenen Spielwarenfilialen mit einem Schlag um 39 (18 Krömer- sowie 21 Toysino-Filialen) Standorte. Zum gleichen Zeitpunkt wird zudem mit dem Ausscheiden der Inhaberin Hildegard Peppinghaus das gleichnamige Münsteraner Fachgeschäft von Thalia übernommen. Bereits vor einigen Jahren hatte die Geschäftsführung entschieden, das Sortiment der bundesweit zum Thalia-Netzwerk gehörenden 500 Buchhandlungen um ergänzende Warengruppen zu erweitern. Besonderes Augenmerk gilt seit damals den Spielwaren. Offensichtlich trägt dieses Segment signifikant zum Erfolg der Thalia-Gruppe bei. Laut einer Mitteilung zum Geschäftsjahr 2023/2024 konnten die Erlöse des Konzerns um 8 Prozent auf 1,9 Mrd. Euro gesteigert werden.

 

Mehr Wachstum wagen

Wichtiger Umsatztreiber sei demnach der Nonbook-Bereich, vor allem das Spielwaren-Segment, gewesen. Dessen Anteil an den Gesamterlösen habe im zurückliegenden Geschäftsjahr bei 11 Prozent gelegen. Das entspräche einem Umsatzvolumen von ca. 209 Mio. Euro. Innerhalb dieser Warengruppe hat Thalia sich also innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit nennenswerte Marktanteile verschafft. Thalia verfolgt also nicht nur eine Omnichannel-, sondern auch eine Mehrbranchenstrategie, um Wachstum zu generieren. Dass es eine gewisse Nähe vor allem zwischen Kinder- und Jugendbüchern und der Spielware gibt, lässt sich nicht bestreiten. So hätte es beispielsweise ohne die Harry-Potter-Buchreihe sowie deren Verfilmung eine derart starke Lizenzvermarktung mit Spielwaren nicht gegeben. Harry Potter gehört bis heute zu den abverkaufsstärksten Lizenzthemen der Spielwarenbranche.

 

Hoher Wettbewerbsdruck

Entscheidend für die Initiativen von Thalia ist allerdings etwas anderes. Ihr spielt die schwierige Lage vor allem des Einzelhandels mit Spielwaren günstige Gelegenheiten in die Hand. Denn den inhabergeführten Fachgeschäften dieser Branche geht zunehmend die Luft aus. Hohe Kapitalbindung, schwache Margen, Probleme mit der Flächenrentabilität oder insbesondere auch bei der Nachfolgesuche sind kennzeichnend für diese Warengruppe.

Dazu kommt der immense Wettbewerbs- und Preisdruck nicht nur durch Online-Händler, allen voran Amazon, sondern auch im stationären Bereich. So gibt es in den frequenzstärksten Vertriebsformen des deutschen Handels, bei Lebensmittel- und Drogeriehändlern, Spielwaren in allen Vertriebstypen vom Discounter über die Supermärkte bis hin zu den SB-Warenhäusern. Mit Umsätzen von etwa 400 Mio. Euro, die mit diesem Sortiment erwirtschaftet werden, ist das Ulmer Unternehmen Müller sogar der größte Spielwarenhändler in Deutschland.

Bei seiner Expansion im Spielwarenhandel nutzt Thalia aber nicht nur die Chancen eines Marktes, der sich in einem durchgreifenden Strukturwandel befindet, sondern nimmt angesichts dieser Wettbewerbssituation auch erhebliche Risiken auf sich. Die Strategie folgt allerdings den bewährten und eingespielten Konzepten, mit denen Thalia sich im Buchhandel die führende Position erobert hat: Eröffnung eigener Filialen, Übernahme von Wettbewerbern oder auch Partnerkonzepte für Buchhändler, die ihre Eigenständigkeit dadurch bewahren, indem sie „die Einkaufsstärke sowie die technische Infrastruktur von Thalia“ nutzen, wie es beim Konzern heißt.

 

Großer Erfahrungsschatz

Mit seiner ursprünglichen Expansionspolitik in der Buchbranche, die damals von vielen Insidern als übertrieben aggressiv beschrieben wurde, hätte Thalia vor vielen Jahren fast Schiffbruch erlitten. Die Verluste waren so hoch, dass der damalige Mutterkonzern Douglas Holding selbst in Probleme geriet und deshalb die Reißleine zog. Nach der Abspaltung der Buchsparte und der Überführung in eine neue Eigentümerstruktur gelang Thalia die fürs Überleben notwendige Restrukturierung.

Es ist auf keinen Fall von Nachteil beim Aufbau des neuen Segments Spielwarenfachhandel, dass Thalia über einen derart reichen Erfahrungsschatz verfügt. Verantworten sollen den neuen Bereich die beiden Brüder Christian und Daniel Krömer, die mit der Übernahme ihrer Unternehmen von Königen in ihrem eigenen Reich zu Angestellten des Thalia-Konzerns werden. Das wird für beide eine völlig neue Erfahrung sein.

Unabhängigkeit neu interpretiert

Kommentar von Tassilo Zimmermann

Der Widerstand in der eigenen Branche war zu groß: Dieter Schormann trat 2005 von seinem Amt als Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels zurück. Zum Verhängnis war ihm die Ankündigung geworden, dass er eine leitende Position beim führenden Buchfilialisten Thalia übernehmen werde. Und nicht nur das: Kurz nachdem Thalia mitgeteilt hatte, in Schormanns Heimatstadt Gießen eine große Filiale zu eröffnen, hatte Schormann das Ende seiner eigenen dort seit 1822 ansässigen Traditionsbuchhandlung bekanntgegeben. Der Zorn bei vielen unabhängigen Buchhändlern war groß und groß deshalb auch die übereinstimmende Meinung, dass Schormann im Börsenverein als Thalia-Angestellter nicht mehr ihre Brancheninteressen vertreten könne. Auch wenn er dies nicht so sah, legte er sein Amt nieder.

Und nun der Sprung ins Jahr 2025: Der allseits als Lichtgestalt des unabhängigen Spielwarenfachhandels gefeierte Unternehmer Christian Krömer wechselt auf eine leitende Position beim führenden Buchhandelsfilialisten Thalia. Der Konzern gibt gleichzeitig bekannt, dass Krömer gemeinsam mit seinem Bruder Daniel die neugegründete Sparte „Spielwarenfachhandel“ aufbauen wird. Beide bleiben damit auch für ihre eigenen, bislang unabhängig geführten 39 Fachgeschäfte verantwortlich. Denn die haben sie komplett an Thalia verkauft. Christian Krömer, der frischgebackene Top-Manager bei Thalia, wird auf der Website der Einkaufsorganisation idee+spiel als Aufsichtsrat geführt, ist zudem seit vergangenem Jahr Mitglied des konkurrierenden Branchenverbands Vedes und sitzt als erfolgreicher Einzelhändler im Vorstand des Bundesverbands Spielwarenhandel.

Viele Seelen wohnen also in seiner Brust. Eines kann allerdings als sicher gelten: Christian Krömer ist unabhängig geblieben und dürfte seit dem Verkauf seines Familienbesitzes an Thalia seiner persönlichen Zukunft überaus gelassen entgegensehen. Da lassen sich bestimmte Widersprüche gut aushalten.