Trend zu größeren Verbundgruppen

7.06.2025

Verbundgruppen lieferten von Beginn an eine Antwort auf die Herausforderungen an den Einzelhandel. Sind sie aber auch heute noch leistungs- und wettbewerbsfähig genug, um einen entscheidenden Beitrag zur Existenzsicherung ihrer Mitglieder zu liefern? Ulrich Texter sprach mit Prof. Dr. Dirk Morschett.

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Herrn Morschett, der stationäre Handel steht vor den größten Herausforderungen seit Jahrzehnten. Das Spektrum reicht von der Krise der Innenstädte über ein verändertes Konsumverhalten und neue Vertriebswege bis hin zur Vertikalisierung bei Lieferanten, um einige zu nennen. Wie kommt der Einzelhandel da raus, wo soll er anfangen und kann der typische Einzelhändler das überhaupt noch stemmen?
Prof. Dirk Morschett: Tatsächlich steht der stationäre Einzelhandel in vielen Nonfood-Sektoren vor enormen Herausforderungen. Sie haben einige angesprochen, dazu kommen sogar noch weitere. Ich denke an neue stationäre Konkurrenten – wie z. B. Nonfood-Discounter wie Action –, an das Thema Nachhaltigkeit und an das schwierige wirtschaftliche Umfeld in Deutschland. Diese vielen Themen und Veränderungen bringen eine enorme Komplexität mit sich. Alleine kann das ein selbstständiger Einzelhändler schon lange nicht mehr stemmen, dafür braucht er Kooperationen. Ich bin davon überzeugt, dass die Mitgliedschaft in einer Verbundgruppe die einzige Möglichkeit für einen selbstständigen Einzelhändler ist, die vielfältigen Herausforderungen zu meistern.

Im Februar 2024 legten Sie eine Studie zur Zukunftsfähigkeit von Verbundgruppen vor. Wie zukunftsfähig sind die noch? Laut einer Prognose des Handelsverbandes Deutschland von August 2024 schlossen im vergangenen Jahr 5.000 Geschäfte ihre Türen für immer. Das kann nicht ohne Auswirkungen auf Verbundgruppen bleiben, oder?
Prof. D. M.: Wenn in einzelnen Branchen bereits 40–50 % des Umsatzes über den Online-Handel erzielt werden, ist es logisch, dass dies zu Schließungen im stationären Handel führt. Alleine schon die rückläufige Flächenproduktivität führt dazu. Die Konzentrationswelle bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass die Verbundgruppen leiden. Es wird sicher so sein, dass sie in Zukunft weniger Mitglieder haben, dafür aber größere. Deren Ansprüche sind aber auch höher. Verbundgruppen, die das nicht leisten können, bekommen dann auch Probleme. Auch hier sehen wir ja einen Trend zu größeren Verbundgruppen, also auch eine Konzentration auf dieser Ebene.

Vier Zukunftsthemen haben Sie für Verbundgruppen identifiziert, darunter „Wirtschaftlichkeit und Leistungsportfolio“. 70 % der Verbundgruppen rechnen in den kommenden Jahren mit steigenden Umsätzen durch bestehende Mitglieder und die Gewinnung neuer Mitglieder. Wie soll das gehen? Die Hälfte der Befragten gab an, dass 20 bis 40 % der Mitglieder in ihrer Existenz bedroht sind.
Prof. D. M.: Zum einen, wie gesagt, werden Verbundgruppen wegen der Konzentration auf der Ebene ihrer Mitglieder eben größere Mitglieder haben. Dazu kommt ein Wettbewerb der Verbundgruppen um Mitglieder. Einzelne Verbundgruppen werden vom Markt verschwinden, die verbleibenden können dann durchaus noch wachsen. Zudem bedeutet das Wachsen des Online-Handels nicht unbedingt schrumpfende Umsätze der Verbundgruppen. Denn auch Online-Händler sind in den Verbundgruppen organisiert und die Mitglieder, die aus dem stationären Handel stammen, erzielen mittlerweile auch ansehnliche Umsätze im Online-Handel.

Auch bei den Einnahmen aus dem Warengeschäft stehen die Verbundgruppen unter Druck. Sie gehen voraussichtlich von 75 % auf 65 % zurück. Ob das durch den Ausbau von Dienstleistungsangeboten wettgemacht werden kann, bleibt fraglich, zumal viele Mitglieder bei Leistungen, die sie nicht in Anspruch nehmen, äußerst sensibel reagieren.
Prof. D.M.: Hier haben Sie vollkommen recht, denn Mitglieder wollen zunehmend nicht mehr alle Leistungen über ihre Mitgliedsbeiträge mitfinanzieren, sondern nur für das bezahlen, was sie auch nutzen. Diese Veränderungen werden auch für die Verbundgruppen Druck bringen. Aber wir haben bereits über die Herausforderungen gesprochen. Und ob wir vom digitalen Marketing sprechen, von Produktdaten, von Datenanalysen oder von der Notwendigkeit, ständig aktuelle Informationen zu erhalten – die Händler benötigen zahlreiche Leistungen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Verbundgruppen, die hier sehr gute Leistungen bereitstellen, werden auch im Wettbewerb um Mitglieder gewinnen und wachsen können.

Muss es auch in der Verbundgruppenszene zu weiteren Zusammenschlüssen kommen? Fast 60 % der Befragten gaben an, strategische Allianzen mit anderen Verbundgruppen eingehen zu wollen. Allein in Deutschland agieren fünf Gruppen im kleinen Spielwarenmarkt. Diese Kleinteiligkeit dürften vermutlich die Mitglieder bezahlen.
Prof. D. M.: Fusionen oder Kooperationen halte ich für sehr wahrscheinlich. Und diese gibt es ja bereits seit Langem – denken Sie nur an die Zusammenarbeit von Vedes mit EK Retail. Da viele Leistungen hohe Fixkosten haben, spricht tatsächlich einiges dafür, diese Leistungen für möglichst viele Mitglieder zu erbringen. Andererseits sind viele Verbundgruppen im Spielwarenbereich ja auch in anderen Branchen tätig und können so Größeneffekte erzielen.

Bereits vor Jahren haben Sie auf die Problematik der Vertikalisierung, des Direct-to-Consumer, hingewiesen. Auch die Spielwarenbranche ist davon betroffen. Wird es tatsächlich reichen, wie es in der Studie heißt, dass Verbundgruppen besser aufzeigen müssen, welchen Mehrwert sie für ihre Lieferanten schaffen? Vieles in der Branche ist doch nur „Kartonware“ ohne geringen Beratungsbedarf.
Prof. D. M.: Vertikalisierung ist in vielen Branchen ein Problem für den Handel – egal ob Bekleidung, Sport, Spielwaren. Andererseits merken auch Markenhersteller, dass sie ihre Produkte weiterhin in der breiten Fläche präsentieren müssen und dass sie dafür den Handel benötigen. Beim Mehrwert der Verbundgruppe für ihre Lieferanten geht es aber nicht nur um den Zugang zum Point of Sale und Beratern. Es geht auch um die Steuerung von Zahlungsströmen und deren Absicherung, es geht um Logistikleistungen, es geht um Daten. Und hier können Verbundgruppen, wenn sie die Daten ihrer Mitglieder sammeln und auswerten, wertvolle Erkenntnisse für Lieferanten bereitstellen.

Als ein weiteres Themenfeld von strategischer Bedeutung haben Sie die Digitalisierung identifiziert. Woran hapert es? Wo liegt hier das größte Potenzial, um die Mitgliedsunternehmen wettbewerbsfähiger zu machen?
Prof. D. M.: Verbundgruppen können Trends erkennen, sie können regionale Unterschiede erkennen, sie können aus den Daten Insights generieren. Einfache erste Anwendungen sind Benchmarking für Abverkäufe von bestimmten Produkten, Trends im Abverkauf, Informationen, welche Produkte sich bei den anderen Händlern besser verkaufen, und Umsatzpotenzialanalysen. Aber ich stimme Ihnen zu – wir sprechen seit Jahren davon und viele Verbundgruppen haben hier noch keine enormen Fortschritte gemacht. Das liegt u. a. daran, dass ihre Mitglieder oft noch nicht bereit sind, ihre Daten mit der Verbundgruppenzentrale zu teilen. Es geht ja nicht in erster Linie um die Daten, die die Verbundgruppen aus ihrer Geschäftstätigkeit sowieso haben, sondern es geht um Abverkaufsdaten der Mitglieder, um Kundendaten, um Daten aus den Online-Shops und den Websites – und dies möglichst in Echtzeit. Dies bedeutet, dass die Verbundgruppen ihren Mitgliedern den Mehrwert der Datenüberlassung erklären und möglichst schnell Quick Wins generieren müssen, also Erfolge für die Mitglieder auf Basis der überlassenen Daten.

Generative künstliche Intelligenz gilt als Gamechanger, für andere ist es nur ein Hype. Das transformative Potenzial würde erst in vielen Jahren zu spüren sein. Tatsache ist, dass der chinesische E-Commerce-Riese Alibaba kürzlich die KI-Suchmasche „Accio“ im B-to-B-Handel eingeführt hat. Wird KI den Handel ein weiteres Mal umkrempeln?
Prof. D. M.: KI ist – zwei Jahre nach der Lancierung von ChatGPT – bereits in vielen Unternehmen die Realität. Und es verbreitet sich in einem rasanten Tempo. Die generative KI wird ja selbst in kleinen Unternehmen bereits im Marketing von den Mitarbeitern eingesetzt, z. B. zum Schreiben von Werbetexten. In der Warenwirtschaft und der Logistik setzen die IT-Unternehmen schon seit Längerem auf KI und verbessern damit z. B. die Prognosen und Analysen. Und im Online-Handel werden Produkttexte längst durch KI erfasst. Leider setzen gerade die großen chinesischen Plattformen wie Temu KI sehr professionell ein, um den Kunden zu beeinflussen. Also ja, KI verändert viele Prozesse im Handel schneller als je zuvor. Und damit kommen wir wieder zurück zu Ihrer ersten Frage: Wie soll ein selbstständiger Einzelhändler das schaffen? Alleine nicht, aber in den Verbundgruppenzentralen kann man durchaus Wissen bündeln und zentrale Investitionen tätigen, um hier mitspielen zu können.

Herr Morschett, wir bedanken uns für
das Gespräch.