Verbot für Kids, Bühne frei für Marken

21.08.2025

Die Branche profitiert vom digitalen Auftritt – doch genau dort droht Jugendlichen der Rauswurf. Während ein Verbot sozialer Medien für unter 16-Jährige in Deutschland diskutiert wird, setzen Spielwarenhersteller auf eben jene Kanäle, um Produkte zu bewerben. Ein doppelter Standard zwischen Kinderschutz und Klickzahlen.
Planet Toys Gefühlt. Gekauft. Geschenkt.

Während sich Politiker in Talkshows, Studien und Expertenkommissionen mit der Frage herumschlagen, ob Kinder unter 16 Jahren überhaupt noch auf TikTok, Instagram und Co. unterwegs sein dürfen, ist die Werbewirklichkeit längst ein paar Schritte weiter. Dort haben sich Spielwarenhersteller und -händler die Plattformen als digitale Hauptbühnen gesichert. Während also ein Verbot für Minderjährige diskutiert wird, fährt die Industrie dort ihre Reichweite in ungeahnte Höhen. Ein Spagat, der Fragen aufwirft.

In Australien wurde bereits ein gesetzliches Social-Media-Verbot für unter 16-Jährige beschlossen. In Deutschland hingegen bleibt die Debatte diffus: Die Bundesregierung hat eine Expertenkommission eingesetzt, die kurz vor der Sommerpause Empfehlungen vorlegen soll. Doch während auf der einen Seite über die Gefahren diskutiert wird – Stichworte: Suchtgefahr, Bildungsungerechtigkeit, psychische Belastung – setzen Marketingabteilungen der Spielwarenbranche auf eben diese Plattformen, um Aufmerksamkeit, Markenbindung und letztlich Umsatz zu generieren.
Auch Erziehungsexperten wie Prof. Klaus Zierer von der Universität Augsburg warnen: Die Nutzung sozialer Medien reduziere schulische Leistungen – insbesondere bei Kindern aus bildungsfernen Haushalten. Und nicht nur das: Sie begünstige psychosomatische Beschwerden und trage zu wachsender Bildungsungleichheit bei.

 

Social Media als Spielwiese der Vermarktung

Smyths Toys sammelt auf TikTok über 6 Millionen Likes ein und hat fast eine halbe Million Follower. LEGO unterhält ganze Medienimperien auf Instagram, YouTube und Facebook mit Millionenpublikum. Ravensburger erreicht mit Influencer-Kampagnen Hunderttausende. Und selbst kleinere Anbieter wie Amigo oder Schleich setzen auf Nutzer-generierten Content, Hashtag-Kampagnen und Kurzvideos. Diese Zahlen zeigen: Wer Kinder erreichen will, muss dort sein, wo sie sind. Aber wenn sie dort bald nicht mehr sein dürfen – für wen produziert man dann die Inhalte? Für Eltern? Für Erziehungsberechtigte? Oder zielt man doch an den Regeln vorbei?

Was der einen Seite als Schutzmaßnahme dient, wird der anderen zum Marketingargument. „Wir erreichen Familien dort, wo sie digital leben“, heißt es in Unternehmensbroschüren. Dass dabei die Zielgruppen altersmäßig oft fließend sind, wird gerne ausgeblendet. Der Appell an Medienkompetenz wird dann zum Feigenblatt einer Reichweitenstrategie.

Die Plattformen selbst profitieren ohnehin doppelt: Einerseits vom moralischen Schulterschluss mit Jugendschutz-Initiativen, andererseits von Werbebudgets, die gezielt auf junge Nutzer ausgerichtet sind – wenn auch offiziell altersverifiziert. Dass Altersangaben bei der Anmeldung kaum kontrolliert werden, macht das System angreifbar. Auch viele Content-Kampagnen setzen auf Reizüberflutung und emotionale Trigger: knallige Farben, schnelle Schnitte, kindliche Stimmen. So wird eine Ästhetik erzeugt, die sich klar an Jüngere richtet – auch wenn das im Widerspruch zu den Plattformrichtlinien steht.

 

Verantwortung oder Werbung –ein Zielkonflikt

LEGO zeigt, dass Reichweite und Verantwortung kein Widerspruch sein müssen. Laut Kathrine Kirk Muff, Vice President Social Responsibility, sei es heute wichtiger denn je, Kindern ein sicheres und respektvolles Online-Verhalten zu vermitteln. LEGO stelle die Interessen von Kindern in den Mittelpunkt und entwickle digitale Angebote entsprechend.

Gemeinsam mit dem DQ Institute arbeitet LEGO daran, Kinder spielerisch an Themen wie Datenschutz, digitale Fairness und Online-Empathie heranzuführen. Die Zusammenarbeit mit Bildungspartnern, NGOs und staatlichen Stellen soll helfen, Inhalte nachhaltig zu gestalten.
Doch LEGO ist die Ausnahme. Viele andere Marken setzen auf Reichweite, ohne sich öffentlich zur Verantwortung zu bekennen. Derweil wächst die Kritik an der Praxis, kindliche Aufmerksamkeit als Wirtschaftsfaktor zu nutzen. Verbraucherschützer fordern klare Alterskennzeichnungen und verpflichtende Kontrollmechanismen für Werbung mit Kinderbezug. Ramona Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), betont, dass die mentale und physische Gesundheit junger Nutzer über dem wirtschaftlichen Interesse stehen müsse. Der Verband fordert ein Verbot manipulativer Funktionen wie Endlos-Scrollen und Auto-Play sowie verpflichtende Voreinstellungen auf Privatmodus. Altersverifikation allein reiche nicht aus.

Und auch aus der Elternschaft regt sich Widerspruch: Wie solle man seinem Kind TikTok erklären, wenn dort parallel Werbung für ein Puzzle läuft?, fragt eine Berliner Mutter in einem Leserbrief. Eltern wünschen sich verbindliche Regeln, verständliche Alterskennzeichnungen und medienpädagogische Begleitung – auch von Seiten der Hersteller.
Gleichzeitig fordern Medienpädagogen flächendeckende Bildungsinitiativen, die Schulen und Familien in die Lage versetzen, Kinder auf digitale Risiken vorzubereiten. Denn nur wer weiß, wie Plattformen funktionieren, kann sich kritisch und selbstbestimmt darin bewegen.

 

Forderungen an eine faire digitale Spielwelt

Die Spielwarenbranche muss sich ehrlich machen: Wer Werbung auf Social Media platziert, macht das auch für Minderjährige. Das ist nicht verwerflich, aber sollte mit Verantwortung einhergehen. Altersfilter, klare Kommunikationsrichtlinien, transparente Zielgruppenansprache und eine Diskussion darüber, was „kindgerecht“ in einer digitalen Welt überhaupt heißt, sind überfällig.

Denn ein Verbot ohne Bewusstsein führt nur dazu, dass sich der digitale Alltag der Kinder in Grauzonen verlagert – während die bunten Clips der Hersteller weiter auf sie warten.

Umfrage von planet toys zu Social Media

Im Rahmen der letzten Welle des Branchenbarometers haben wir auch nach dem Umgang mit Social Media gefragt. Die Ergebnisse zeigen deutlich: Die Branche ist zwar aktiv – aber da ist noch ganz schön Luft nach oben. Jede Generation hat ihre Spielplätze. Für die Jüngsten sind das heute vor allem digitale Räume. TikTok, Instagram, YouTube: Wer Kinder, Jugendliche oder junge Familien erreichen will, findet sie dort. Doch die Spielwarenbranche, so zeigt das aktuelle Branchenbarometer von planet toys, begegnet dieser Realität mit Zurückhaltung. Als wolle man mit einem Bein in der digitalen Gegenwart stehen, mit dem anderen aber lieber auf vertrautem Boden bleiben.

Zwei Drittel der Unternehmen nutzen Facebook und Instagram. Das klingt solide – bis man genauer hinsieht. 63,1 % sind es, die Facebook oder Instagram beruflich nutzen. Doch sie tun das ausschließlich organisch. Nur 28,6 % der befragten Unternehmen schalten dort auch bezahlte Anzeigen, und noch nicht einmal 3 % nutzen Social-Media-Shops. Man ist präsent, man pflegt seine Community – aber das eigentliche Geschäftspotenzial, das Social Media bieten könnte, bleibt nahezu unangetastet. Noch klarer zeigt sich das bei TikTok: Gerade einmal 8 % der Befragten setzen die Plattform zu Werbezwecken ein – und das trotz ihres enormen Einflusses auf Kinder und Jugendliche. Mehr als zwei Drittel (68,2 %) der Befragten geben sogar an, TikTok gar nicht zu nutzen. Gleichzeitig befürworten mehr als 80 % der Teilnehmenden eine Altersgrenze ab 16 Jahren. Mit anderen Worten: Die Branche wäre bereit, ihre wichtigste Zielgruppe von ihrem wichtigsten Kanal auszuschließen. Das ist kein technisches Versäumnis. Das ist Haltung. Und vielleicht auch ein Ausdruck von Überforderung.

Social Media verlangt mehr als Präsenz. Es verlangt Aktion, Tempo, Ideen. Und manchmal auch den Mut, sich auf etwas einzulassen, das man möglicherweise nicht voll kontrollieren kann. Die Branche hingegen setzt lieber auf das, was sie kennt: persönliche Nähe, stationäre Präsenz, gezielte Werbeaktionen.Vielleicht liegt darin die eigentliche Erkenntnis dieser Umfrage: Social Media ist in der Spielwarenbranche angekommen – aber nicht als operatives Tool . Man ist da, aber wenn es um den nächsten Schritt geht – gezielte Kampagnen, Verkauf direkt über Social Media – bleiben die meisten stehen.