Vom „Abrechner“ zum Marktgestalter
Der ehemalige Hauptgeschäftsführer des ZGV, Dr. Ludwig Veltmann, meinte Anfang des Jahres, dass sich der Mittelstand im Sinkflug befände. Ist die VEDES bereits im Landeanflug?
Julia Graeber: (lacht) Im Sinkflug ist die VEDES definitiv nicht, deswegen kommen wir auch nicht in einen Landeanflug. Richtig ist, dass der Mittelstand, der das Rückgrat der deutschen Wirtschaft und sehr solide unterwegs ist, vor großen Herausforderungen steht. Worauf Dr. Veltmann vermutlich anspielte, ist die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland, die ihre Ursache hauptsächlich in den Polykrisen hat. Von der Konsumzurückhaltung bleibt keiner verschont. Die Krisen haben uns Ende letzten Jahres begleitet und sie begleiten uns auch noch dieses Jahr.
Was wünscht sich die VEDES von der Politik, damit es besser wird, oder reicht das Wachstumschancengesetz?
J.G.: Das reicht sicherlich nicht. Die Politik ist gefordert, auch in Richtung des stationären Fachhandels aktiv zu werden. Den Mittelstand trifft ja nicht nur die gesamtwirtschaftliche Lage, sondern auch die Bürokratie, die erhebliche personelle und finanzielle Ressourcen bindet. Hinzu kommt das Thema Innenstädte. Alle wollen belebte Innenstädte, aber was kommt von der Politik? Innenstädte sollen autofrei werden. Das mag aus umweltpolitischen Gesichtspunkten einleuchten, aber es trifft letztendlich den stationären Handel. Hinzu kommen die Mieten, die kaum noch bezahlbar sind. In Hanau konnten wir mit Unterstützung der Politik ein schönes Projekt realisieren. Es geht also!
2023 erzielte die VEDES einen Konzernumsatz von 139 Mio. €. Wie fällt die Momentaufnahme für das 1. Halbjahr 2024 aus? Wird die Prognose für das Gesamtjahr erreicht?
J.G.: Der Spielwarenmarkt steht wie die gesamte Wirtschaft unter Druck. Das merken auch wir in unseren Umsätzen. Nichtsdestotrotz, schaut man auf das Gesamtjahr, steht und fällt viel mit dem Weihnachtsgeschäft. Dass 2024 nicht einfach wird, war uns allen bewusst. Die ganze Branche steht vor den gleichen Herausforderungen.
Die VEDES bedient den Spielwaren- und Lebensmitteleinzelhandel sowie Online. Welcher Kanal entwickelt sich derzeit am besten?
Dominik von Rodde: Der Online-Handel verbuchte letztes Jahr überraschenderweise starke Verluste. Jedem war aber klar, dass der E-Commerce ein wenig überzeichnet war. Inzwischen hat er sich ein Stück weit erholt. Der Lebensmitteleinzelhandel hat noch zu kämpfen, auch weil die Regalpreise relativ hoch waren. Die Industrie hat inzwischen darauf reagiert, das merkt man insbesondere im LEH. Der gerne totgesagte Fachhandel kommt bisher sehr solide durch die Konsumzurückhaltung.
Das Großhandelsgeschäft verbuchte 2023 ein Minus von 8,1 %. Ist der VEDES Großhandel zu teuer?
D.v.R.: Nein, der VEDES Großhandel stellt seine Dienstleistungen allen Vertriebslinien zur Verfügung und hat sich 2023 in den meisten Kanälen besser als der Markt entwickelt. Er überzeugt mit seiner Logistik-Performance und seiner sehr guten Warenverfügbarkeit. Auch in schwierigen Zeiten generiert er für den Fachhandel über die Warensortimente Spanne und Ertrag.
Die Übernahme des operativen Geschäftes von Hoffmann Spielwaren erfolgte 2014; der Mietvertrag läuft 2028 aus. Was kommt danach?
Mathias Kempe: Die Logistik muss immer der Unternehmensstrategie folgen, denn sie kostet relativ viel Geld. Wohin wird sich die VEDES also entwickeln? An der Beantwortung dieser Frage sind wir gerade dran. Dabei denken wir in alle Richtungen. Aber wir haben noch ein wenig Zeit, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Also alles ist möglich?
M.K.: Nichts ist entschieden. Wir haben noch anderthalb Jahre Zeit, gründlich nachzudenken, dann wird es eine Lösung geben. Der Standort Lotte könnte ebenso gut weiter ausgebaut werden, wie die Wahl auf ein Greenfield- oder Brownfield-Konzept fallen könnte. Was richtig ist, Lotte verfügt über eine gewachsene Struktur, d. h. wenn wir ein Zukunftskonzept auflegen, wird es in Lotte sicherlich auch Veränderungen in Richtung Automatisierung und Digitalisierung geben. Wie gesagt: Die Logistik muss zur Unternehmensstrategie der VEDES passen.
Die VEDES Gruppe vereint rund 700 selbstständige Unternehmer mit ca. 900 Geschäften. Der Konzern hat 3.700 Kunden mit 7.000 Standorten. Ist die VEDES noch eine Verbundgruppe für den Fachhandel?
J.G.: Wir sind die Einzigen in der Branche, die ein derartiges Gesamtportfolio bieten. Unsere Gesellschafter sind die VEDES und SPIELZEUG-RING Fachhändler, und alles, was wir tun, muss den Gesellschaftern, sprich den Eigentümern, zugutekommen. Wir halten es strategisch für richtig und wichtig, dass wir die Vorteile einer Verbundgruppe mit dem gesamten Dienstleistungsportfolio eines modernen Unternehmens und den Leistungen unseres Großhandels vereinen. Das wird auch von unseren Mitgliedern sehr positiv gesehen und genutzt. Als Stand-alone-Lösung nur für Mitglieder wäre das Volumen im Großhandel jedenfalls nicht ausreichend, um vernünftige Preise zu erzielen.
D.v.R.: Die DNA der VEDES ist der Fachhandel – das ist völlig unstrittig. Allerdings ist aus der ursprünglichen Einkaufsgenossenschaft eine hochmoderne Dienstleistungsplattform geworden. Die VEDES wandelte sich vom Abrechnungsverband zu einem Unternehmen mit einem modernen Leistungsspektrum, das insbesondere den Fachhändlern dient. Das kann die VEDES aber nur, wenn sie in der Lage ist, zum einen Volumina zu bündeln, und zum anderen ein gewisses Investitionsvolumen aufzubringen, um die Zukunft zu gestalten. Da spielen zum Glück unsere Eigentümer mit, damit wir reinvestieren können.
Der Zweck von Verbundgruppen ist es, durch Leistungsangebot die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Mitglieder zu verbessern. Marktveränderungen führen aber dazu, dass etablierte Einnahmequellen unter Druck geraten. Wie steuert man dagegen?
D.v.R.: Die Zeiten des reinen Warenverkaufs sind vorbei. Das gilt auch für unsere Händler. Wenn man für seine Kunden attraktiv sein will, muss man es über einen herausragenden Service und vor allem ein besonderes Einkaufserlebnis schaffen. Einen Point of Emotion mit relevanten Dienstleistungen kostendeckend zu realisieren, ist eigentlich nur möglich, wenn der Handel auf eine starke Verbundgruppe im Hintergrund zugreifen kann. Das gilt nicht zuletzt auch für IT-Investitionen. Ebenso sind unsere VEDES Eigenmarken für die Mischkalkulation unverzichtbar und ein wichtiger Teil unseres Serviceportfolios. Das würden selbst größere Händler nicht allein hinkriegen. Weitere Wachstumsmöglichkeiten sehe ich noch bei bestehenden Kundengruppen, in der Leistungsausweitung und im Rahmen der Internationalisierung. Unser jüngstes Engagement in Österreich ist ein Beispiel dafür.
Zählt der VEDES Store am Flughafen München auch zur Wachstumsstory?
J.G.: Das zeigt vor allem, welche technischen Möglichkeiten es mittlerweile gibt. Das Geschäft Scan & Go mit Self-Checkout am Münchener Flughafen dient aber natürlich auch der Markenwahrnehmung. Der Store ist für uns ein wichtiges Pilotprojekt. Am Ende werden unsere Händler beurteilen, ob es sinnvoll ist oder nicht. Fakt ist, wir haben stets ein Ohr am Markt und sind Innovationen gegenüber offen.
Der Spielwarenhandel steht unter enormem Ertragsdruck. Von Ihnen, Herr von Rodde, stammt der Kampfaufruf: Mehr Spanne für unsere Mitglieder!
D.v.R.: Dass es ein Kampf ist, ist absolut richtig. Neben dem Produkt- und Lieferantenmix, den wir bieten, sind wir auch sehr stark bei unseren Eigenmarken, die man neben den Sortimenten traditioneller Hersteller benötigt, um eine vernünftige Spanne hinzukriegen. Glücklicherweise haben wir viele gute Lieferanten, die dem Fachhandel wohlgesonnen sind. Langfristig wird das aber nicht ausreichen, um signifikante Effekte auf die Spanne so hinzukriegen, dass es richtig Spaß macht. Deshalb benötigen wir auch Ansätze, um Volumen zu bündeln und so Raum für Spannenoptimierung zu schaffen.
Die VEDES kritisierte unlängst das partnerschaftliche Verhältnis von Handel und Industrie. Was ist da dran?
D.v.R.: Unabhängig davon, in welchem Kontext die Aussage fiel: Es geht darum, welche Konzepte wir perspektivisch bieten können, um bspw. Mengen zu bündeln, oder wie wir die Sortimentsbreite im Sinne unserer Mitglieder steuern können. Das sollte die Zielsetzung sein. Über den klassischen Produkt- und Lieferantenmix werden wir es wahrscheinlich langfristig nicht allein schaffen.
Sind Ihnen nicht die Hände gebunden, weil die VEDES Diener mehrerer Herren ist?
D.v.R.: Grundsätzlich agieren wir partnerschaftlich am Markt. Die Wahrheit liegt aber in der Mitte. Natürlich gehen wir auch mit einigen Herstellern hart ins Gericht. Fakt ist, wir bekommen vieles im Sinne unserer Mitglieder hin. Wichtig ist aber auch, dass wir die Unterstützung unserer Händler brauchen, wenn wir als VEDES in kontroverse Diskussionen mit den Lieferanten gehen.
M.K.: Die VEDES geht schon mal ins Risiko, was die Mengen anbelangt. Hier wäre es wünschenswert, wenn sich unsere Händler stärker committen und bestimmte Mengen an uns abgeben würden – dann hätten wir eine ganz andere Verhandlungsposition. Es ist nicht sinnvoll, wenn sich die VEDES alles auf Lager legt, und am Ende kaufen uns die Mitglieder die Ware nicht ab. Das Zweite ist, dass man sich stets bewusst sein sollte, wo man beim Lieferanten steht. Eine partnerschaftliche strategische Beziehung sollte nicht gefährdet werden. Man muss schon genau wissen, was man in der Hand hat, um in die Schlacht zu gehen.
J.G.: Mit vielen Lieferanten arbeiten wir sehr partnerschaftlich zusammen. Aber die Hersteller müssen auch verstehen, dass der Handel Luft zum Atmen braucht, wofür eine gewisse Marge notwendig ist. Viele Produkte und Sortimente wurden in der Vergangenheit über den Fachhandel groß und erfolgreich – das wird ab und an vergessen.
Laut einer Umfrage des Mittelstandsverbunds zur Zukunft der Verbundgruppen wollen 60 % der Befragten strategische Allianzen eingehen. Auch im VEDES Geschäftsbericht wird das Thema aufgegriffen. Was ist Stand der Dinge?
J.G.: Die VEDES ist für Allianzen generell offen. Ich sehe genau solche partnerschaftlichen Modelle als eine der wichtigsten Aufgaben an, weil der Fachhandel im Grund genommen nur gemeinsam vorankommt. Die Zusammenarbeit mit EK Retail zeigt, dass beide Seiten davon profitieren. Unsere Zusammenarbeit wurde übrigens gerade verlängert. Also, wir sind offen und spüren auch von anderer Seite, dass diese partnerschaftlichen Themen vorangetrieben werden. Zudem gibt es nicht nur in Deutschland Verbundgruppen – wir sind längst l.nderübergreifend im Austausch, um solche Themen anzugehen. Vielleicht bringt der Generationswechsel, den wir hier bei der VEDES gerade erfolgreich realisiert haben, auch einen Vorteil, weil man unbelastet von der Vergangenheit agieren kann. Es ist eine Frage der Zeit.
In der Umfrage taxierte die Mehrzahl der Verbundgruppen die eigene Nachhaltigkeitsleistung als befriedigend oder noch schlechter ein. Was muss bei der VEDES besser werden?
J.G.: Die VEDES brachte ihren Nachhaltigkeitsbericht bereits sehr früh heraus, ohne dass die gesetzliche Verpflichtung schon griff, weil wir uns der Verantwortung bewusst sind. Der erste Nachhaltigkeitsbericht ist eine Aufnahme des Status quo. Es ging darum, was man als Unternehmen überhaupt beeinflussen kann.
Und was kann man als Verbundgruppe?
J.G.: In der Sortimentsgestaltung sind unsere Möglichkeiten begrenzt. Wir haben zwar Eigenmarken, sind aber kein Hersteller. Deshalb haben wir uns im Einkauf sehr intensiv mit der Produktvielfalt beschäftigt. Wie können wir eine nachhaltigere Wahl klassifizieren? Was sind wirklich nachhaltige Produkte? Das war schwierig, denn es gibt nicht diesen einen Stempel für das nachhaltigste Produkt. Auf der anderen Seite darf man die Wirtschaftlichkeit nicht aus den Augen verlieren. Das sehen wir gerade aktuell. Nachhaltigkeit darf nicht mehr kosten, was sie noch tut. Wenn wir Produkte aus dem Sortiment nehmen, und der Konsument kauft beim Discounter, erweisen wir uns nur selbst einen Bärendienst.
Was ist am Ende rausgekommen?
J.G.: Unser CO2-Fußabdruck ist erstmals auf Basis der Daten für das Jahr 2023 gemessen worden. Es ist aufwendig, diese Daten zu sammeln und aufzubereiten. Das braucht Zeit und bindet enorme personelle Ressourcen. Aus diesem Grund waren wir auch so früh dran, um eine Basis zu schaffen. Ab 2025 sind wir in der Berichtspflicht. Der Nachhaltigkeitsbericht 2022 war also nur der erste Aufschlag und der Einstieg in eine fundierte Datengrundlage.
M.K.: Nachhaltigkeit ist ein sehr komplexes Thema. Beispiel Kunststoff: Alles verbannen und rausnehmen ist auch keine Lösung, wenn das Produkt verschmutzt ist und es dann keiner mehr kaufen will. Wir müssen über smarte Verpackungen nachdenken, wie es bspw. der LEH tut: Wie trennt man Plastik sinnvoll von Pappe – das muss auch in der Spielwarenbranche kommen. Smarte Verpackungen, die trenn- und recycelbar sind – das sind die Ideen, in die wir uns als VEDES noch stärker einbringen können, sowohl bei unseren Eigenmarken als auch bei den Herstellern.
Die VEDES Anleihe liegt gerade um die 63 €. Glaubt man nicht mehr an die VEDES Story?
J.G.: Generell werden Mittelstandsanleihen in Krisenzeiten gerne in Mithaftung genommen. Man hat das ja in der Pandemie gesehen, als die VEDES Anleihe einbrach, obwohl wir zweistellige Wachstumsraten vorweisen konnten. Was natürlich aktuell durchschlägt, ist das Zinsumfeld. Wir haben uns 2021 mit der Anleihe zu 3,5 % refinanziert. Der Zinssatz war marktüblich, worum uns viele beneideten – jetzt schlägt das allerdings auf die Bewertung der Anleihe durch. Das darf man nicht überbewerten.
Ende 2024 wäre wieder eine weitere Rückzahlung der Anleihe möglich. Was ist geplant?
J.G.: Wir haben die Hälfte der Anleihe aus unseren Finanzmitteln zurückgezahlt. Die Bayerische Beteiligungsgesellschaft ist mit 5 Mio. € eingestiegen, um die Digitalisierung voranzutreiben. Damit haben wir in unser SAP-Umfeld und die Weiterentwicklung unseres Warenwirtschaftssystems IPOS investiert. Denn die VEDES ist eine der wenigen Verbundgruppen, die für ihre Händler ein individuell angepasstes Warenwirtschaftssystem anbietet. Aber es stimmt, ab November 2024 wäre eine Rückoder Teilrückzahlung möglich, aber in diese Richtung ist momentan nichts geplant.
Wie lauten Ihre Ziele für die nächsten drei Jahre?
J.G.: Die Ziele lauten weiterhin Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Wachstum.
M.K.: Im Vordergrund steht zum einen die Reduktion der Prozesskosten, insbesondere in der Logistik. Zum anderen möchten wir, auch durch das Commitment unserer Fachhändler, im Einkauf mehr Volumen generieren, um letztendlich bessere Preise erzielen zu können. Das Thema Digitalisierung spielt natürlich eine zentrale Rolle, um in allen Unternehmensbereichen zukunftsfähig zu bleiben.
D.v.R.: Es wird sicherlich auch darum gehen, wie wir zukünftig weitere Potenziale nutzen, andere Vertriebskanäle erschließen und die Internationalisierung vorantreiben können. Ein wichtiger Bestandteil unserer Zukunftsstrategie sind unsere Dienstleistungen. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns mit Konzepten und Modulen beschäftigen, um mehr Spanne für den Handel zu ermöglichen. Und auch die Nachfolgethematik spielt in diesem Zusammenhang eine große Rolle.